Rerik. Gong, Gong! Endlich sind sie da — die neuen Bronzeglocken für den Kirchturm der St. Johanneskirche. Duzende Reriker lassen sich an diesem Sonntagmorgen nicht von Schneegewirbel und stürmischen Gegenwinden abhalten — sie wollen die Ankunft des so lange vermissten Geläuts mit einem Festumzug durch die Stadt gebührend feiern. „Heute ist der vierte Fastensonntag, ,Laetare‘ genannt“, sagt Pastorin Karen Siegert bewegt. „Das heißt übersetzt ,freue Dich‘ — und nicht nur für mich ist heute tatsächlich ein Tag der Freude.“
Als die neuen Glocken zum ersten Mal in ihrer vollen Pracht vor ihr standen, habe sie tief durchatmen müssen, bekennt die Pastorin. „Da hat mein Herz schon ganz doll geklopft — und als der Posaunenchor dann auch noch ,Großer Gott, wir loben Dich‘ gespielt hat, sind mir doch die Tränen in die Augen geschossen.“
Die Ankunft der Glocken sei mehr als nur ein Verwaltungsakt, macht Siegert deutlich: „Das ist wie eine Neugeburt.“ Rerik bekomme mit dem künftigen Dreiklang das zurück, was dem Ort vor vielen Jahren durch die Kriegswirren genommen wurde: „Für viele war mit diesem Verlust auch ein Stück Heimat weg.“
Gedanken, die Karen Siegert offenbar mit ihren Mitmenschen teilt: Auf dem Weg durch Rerik Richtung Kirche werden die Glocken von vielen Einheimischen begleitet. Es erklingen Lieder, am Wegesrand begrüßen einige Anwohner die Neuankömmlinge mit kleinen Handglöckchen. „Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass bei diesen Witterungsbedingungen so viele Leute bei der Prozession dabei sind“, sagt die Pastorin sichtlich stolz.
Am Ostersonntag soll die Caterinenglocke von 1519, die sich seit 1942 allein im Turm befindet, ihre zwei Geschwister begrüßen. Nach 70 Jahren ertönt dann wieder täglich um 18 Uhr das volle Geläut.
Die Einweihung findet übrigens im Beisein von Künstler Günther Uecker statt, der den Guss nicht nur finanziert, sondern auch gestaltet hat (die OZ berichtete).
„Schöpfer“ Uecker habe bei einem Telefonat am Vorabend mit Blick auf den neuerlichen Wintereinbruch die richtigen Worte gefunden, erzählt Siegert: „Das sei so etwas wie eine Urgewalt“, hätte der weltberühmter Maler und Objektkünstler gesagt: „Gut, dass da noch ein bisschen Schnee von oben auf die Glocken kommt, bevor sie für immer im Kirchturm hängen.“
Für den dann doch unverhofften Flockenwirbel gebe es im Übrigen noch einen anderen, viel naheliegenderen Grund, meint Pastorin Karen Siegert: „Eigentlich sollten die Glocken schon zur Weihnachtszeit bei uns ankommen — da ist so ein stimmungsvoll winterlicher Empfang doch nur folgerichtig . . .“
Die neue Johannesglocke hat die lateinische Inschrift ihrer Vorgängerin und zeigt auf einer Seite Wasser- oder Tautropfen sowie auf der anderen segnende Hände. Diese Glocke soll an den biblischen Johannes den Täufer sowie die Taufe erinnern.
Die kleinere Gebets- und Totenglocke trägt das aus Psalm 119 stammende Wort „Höre meine Stimme“ als Inschrift und zeigt einen Fries aus gelegten Nägeln, der fast wie eine Dornenkrone aussieht.
Lennart Plottke