In meinem Elternhaus war der Tod ein Tabuthema, weshalb ich als älteres Kind vielleicht gerade deswegen wieder und wieder Märchen wie „Gevatter Tod“ oder „Das Mädchen mit den Schwefelhölzchen“ las.
Ich hatte eine instinktive Neugier auf den düsteren Mann mit der Sense in mir. Diese wurde in meiner Jugend von Angst abgelöst, bis ich als reiferer Erwachsener bereit war, mich erneut dem Thema Sterben zu stellen. Heute weiß ich, wie gut es tut, nicht davor zu flüchten. Wir betrügen uns selbst, wenn wir Gedanken an den eigenen oder den Tod von Angehörigen nicht zulassen. Sicher, zu leben ist schön und wir leben gern, aber was, wenn uns noch etwas viel Schöneres, Befreienderes erwarten würde?
Das Unausweichliche verliert seinen Schrecken, wenn wir den Worten der Bibel Glauben schenken: sie macht Mut und gibt Hoffnung auf ein anderes, neues, ewiges Leben. Darum heißt der letzte Sonntag im Kirchenjahr nicht nur Totensonntag, sondern auch Ewigkeitssonntag. Ich habe gelernt, das Leben durch die „Brille des Todes“ zu betrachten. Das bedeutet keine Einbuße an Lebensfreude und -intensität, sondern eine Relativierung der Bedeutung der irdischen Geschehnisse.
Kleinere Kinder brauchen diese Brille nicht. Der Tod ist für sie kein Schreckgespenst, denn ihre Vorstellungskraft geht noch nicht über das Lebendigsein hinaus. Bis etwa zum vierten Lebensjahr ist „tot sein“ wie etwas Kaputtes, das sich wieder reparieren lässt. Der Tod ist wenig angsterregend und wird als vorübergehender Zustand des Schlafes oder des Verreistseins erlebt. Ich wünsche auch uns eine große Portion des göttlichen Urvertrauens unserer Kinder.
OZ