Wismar. Der Kontoauszug zwischen Seite 234 und 235, der Krankenschein bei Kapitel 12 oder die Slipeinlage – unbenutzt – gleich hinter dem Einband: Was Nutzer der Stadtbibliothek Wismar in den ausgeliehenen Büchern vergessen, sammeln Mitarbeiterinnen wie Christine Tewes ein.
Zwischen 500 und 600 Bücher kommen jeden Tag zurück ins Zeughaus. „Wir finden immer etwas, das die Leute als Lesezeichen in den Büchern vergessen haben“, sagt Tewes. Ob Weihnachtskarte oder Behördenpost, Fotos, Papiertaschentücher oder Geldscheine. „Dann machen wir einen Eintrag ins Bibliothekskonto des Nutzers; und wenn er das nächste Mal wiederkommt, geben wir es zurück“, erzählt Tewes. Manches aber schicken die Bibliothekarinnen auch gleich zurück an die hinterlegte Adresse. „Viele bedanken sich dafür.“
Viel ärgerlicher hingegen seien abgeknickte Seiten – die Eselsohren –, die so mancher als Lesezeichen nutzt, sagt Bibliothekschefin Uta Mach. „Das sind Bücher, die allen gehören, die sollten auch entsprechend behandelt werden.“ Doch der laxe Umgang mit dem Ausgeliehenen beschränkt sich nicht nur auf die Bücher. Zeitschriften beispielweise fehlen gern einmal ein paar Artikel. „Das, was man braucht, wird dann rausgerissen oder rausgeschnitten“, berichtet Mach. Besonders beliebt: das regelmäßig erscheinende Heft der Stiftung Warentest. „Dabei steht hier ein Kopierer – fünf Cent kostet das Vervielfältigen“, sagt Mach. Auch die OSTSEE-ZEITUNG gibt es in der Bibliothek nur noch auf Nachfrage. Der Grund: Das Kreuzworträtsel fehlte mit schöner Regelmäßigkeit – ebenfalls herausgeschnitten. Nun soll die persönliche Übergabe von solchen Taten abhalten. Aber, betont Uta Mach, die meisten Nutzer gingen sorgfältig mit Ausgeliehenem wie Büchern um.
Vielleicht haben sie diesen Umgang ja schon bei „Lieselotte Bergmann“ gelernt. Regelmäßig lässt sie nagelneue Bücher auf die Fliesen knallen, will ihnen mit Stift und Schere zu Leibe rücken und sie mit ihren Schokoladenfingern betatschen. Doch kurz bevor Stift, Schere und Schokoladenfinger etwas Schlimmes anrichten können, halten Zweitklässler „Lieselotte Bergmann“ schreiend davon ab, und das Buch bleibt – bis auf den Fall zu Boden – unversehrt. Und „Lieselotte Bergmann“ wird zu Birgit Buchholz von der Kinderbibliothek. „Unsere Kinder wissen ganz genau, wie sie mit den Büchern umgehen müssen“, freut sich Buchholz über die bewährte Methode, Kindern die Sorgfalt beim Lesen von Büchern beizubringen. Immer wieder stoße sie als „Lieselotte Bergmann“ auf großen Widerstand. „Und wenn ich ein Eselsohr machen will, rufen die Kinder mir zu, ich solle ein Lesezeichen nehmen“, erzählt Buchholz und lacht. Eselsohren, sagt sie, finde sie bei den Kinderbüchern so gut wie nie.
Nicole Buchmann