Dutzende Männer, mit Schrotflinten bewaffnet, schießen auf alles, was fliegt: Schwalben, Mönchgrasmücken, Bienenfresser. Sogar Adler stürzen vom Himmel. Eines der letzten Opfer: das in der warmen Jahreszeit in Mecklenburg-Vorpommern lebende Schreiadler-Männchen „Dieter“.
So oder so ähnlich könnte es gewesen sein in der Nähe des libanesischen Dorfes Aadbil, einem der weltweit wichtigsten Konzentrationspunkte für den Vogelzug und eine der Hochburgen der Wilderei im Mittelmeerraum. Hier, im Norden des Libanon, verliert sich Anfang Oktober die Spur des Tieres. Wurde es von Wilderern getötet? Für Axel Hirschfeld ist der Fall klar: Es sei „ein Massaker“ gewesen, schimpft der Vogelschützer vom Komitee gegen den Vogelmord in Bonn.
Adler brütete bei Greifswald
„Dieter“ lebte in den letzten Jahren in Vorpommern, wo er mit seiner Partnerin seit 2009 insgesamt drei Mal erfolgreich brütete. „Zuletzt zog das Paar im Sommer 2018 in einer Rotbuche in der Nähe von Greifswald einen Jungvogel auf“, erklärt Axel Hirschfeld, der mehrmals selbst im Libanon war. Er kennt die Gegend und das Hobby ihrer Bewohner.
Vogel seit 2009 mit Peilsender
Ornithologen hatten „Dieter“ im Jahr 2009 einen Peilsender umgeschnallt, mit dem sie mehr als neun Jahre lang seine Flugbewegungen verfolgten, darunter auch den jährlichen Zug ins Winterquartier im südlichen Afrika. Am Morgen des 10. Oktober übermittelte der Sender „Dieters“ letzte Position, kurz nachdem er den Libanon erreicht hatte. Und offenbar kurz bevor ihn Schüsse aus einem Jagdgewehr trafen. „Es könnte direkt nach dem Verlassen des Schlafplatzes gewesen sein“, vermutet Axel Hirschfeld. „58 Meter über Grund, 40 Meter neben einer Straße“, erklärt Adlerexperte Bernd-Ulrich Meyburg, der den Vogel 2009 besendert hatte. Und der jetzt die Todesnachricht bekanntgab.
Pommernadler bedroht
Schreiadler, auch als Pommernadler bekannt, sind Deutschlands am stärksten bedrohte Adlerart und werden mit großem Aufwand geschützt. Insgesamt brüten noch etwas mehr als 100 Paare in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Doch die Schutzbemühungen hierzulande werden immer wieder durch illegale Abschüsse zunichte gemacht, beklagt Axel Hirschfeld.
„Dieter“ kein Einzelfall
Das Schicksal von Schreiadler „Dieter“ ist kein Einzelfall. Naturschützer gehen davon aus, dass jedes Jahr etwa 5000 Schreiadler im Libanon getötet werden. Die Schätzung ist das Ergebnis einer gemeinsamen Recherche des Komitees gegen den Vogelmord und des Journals „Der Falke“. Es beruht auf der Auswertung und Zusammenführung zahlreicher Indizien: Funde abgeschossener Adler, Augenzeugenberichte, Daten beringter und besenderter Vögel, Trophäenfotos und Statistiken von Pflegestationen gingen in die Auswertung ebenso ein wie eine Analyse der Zugintensität- und -dichte von Schreiadlern in der Region.
Geschossen und liegengelassen
Viele Vögel werden nach ihrem Abschuss nicht einmal von den Jägern gesucht und mitgenommen, beklagen die Vogelschützer. Zum einem, weil sie in unwegsamem Gelände niedergehen. Oder, weil Motivation und „Thrill“ bereits der vom Himmel stürzende Vogel sei.
Gesamte Weltpopulation fliegt über Libanon
Hintergrund: Den etwa 15 Kilometer breiten Korridor in der gebirgigen Landschaft nutzen im Frühjahr und Herbst zahllose Zugvögel. „An Tagen mit starkem Vogelzug kann es bereits an einem einzigen Konzentrationspunkt zum Abschuss von hunderten Adlern kommen“, warnen Axel Hirschfeld und Thomas Krumenacker. Hinzu käme, dass annähernd die gesamte Weltpopulation einiger – auch bedrohter – Arten hier entlang ziehe.
Politischer Druck gefordert
Das Komitee gegen den Vogelmord fordert deshalb einen stärkeren politischen Druck auch aus der Europäischen Union auf die Regierung im Libanon. „Denn in zahlreichen Ländern der EU werden mit erheblichen Summen Maßnahmen zum Erhalt der Art unterstützt. Diese verpuffen buchstäblich im Pulverdampf der Vogeljäger“, kritisieren die Vogelschützer. Aber auch in Teilen Südosteuropas, in der Türkei, in Jordanien, den Palästinensergebieten, Syrien und Ägypten sei das Abschießen und der Fang von Vögeln an der Tagesordnung, so Hirschfeld und Krumenacker.
Thomas Luczak