Greifswald. Begegnet man Gott, wenn das Herz still steht? Es gibt Menschen, die vom Licht am Ende eines Tunnels berichten, wenn sie dank der Kunst der Ärzte wiederbelebt in die Normalität zurückkehren. Ist das gar der Beweis, dass es Gott gibt?
„Wenn ich römisch-katholischer Theologe wäre, dann würde ich das wohl so sehen“, meint der Kieler Theologieprofessor André Munzinger. „Als Protestant beurteile ich das zurückhaltend, skeptischer.“
Aber so eine Nahtoderfahrung, wie die Wissenschaftler sagen, sei schon ein Hinweis, den man ernst nehmen müsse. Denen, die das erleben, die Realität abzusprechen, das gehe nicht, meint Munzinger. Die Erfahrungen der Betroffenen seien ein Zugang zur Religiosität, der nicht über die Kirche erfolge. Die in Afrika und Asien sehr erfolgreichen charismatischen und pfingstlerischen Bewegungen seien Beispiele dafür wie das Ernstnehmen von Jenseitserfahrungen einen Weg zur Spiritualität ermöglichen könne.
Munzinger war einer der über 70 Teilnehmer der Tagung „Nahtoderfahrungen in interdisziplinärer Perspektive“ im Krupp-Kolleg. Daran nahmen unter anderem Theologen, Ärzte, Psychologen und Literaturwissenschaftler teil. Bei Befragungen des Arztes Pim van Lommel berichteten von 244 Patienten, die nach einem Herzstillstand wiederbelebt wurden, 18 Prozent von solchen Nahtoderfahrungen.
„Bisher wurde von bestimmten, idealtypischen Mustern bei Nahtoderfahrungen gesprochen, wie beispielsweise dem Erlebnis, dass sich Bewusstsein und Körper trennen oder das Verwandte getroffen werden“, sagt die Greifswalder Professorin für Religionswissenschaften, Stephanie Gripentrog. Sie war eine der Tagungsleiterinnen. Aber die Erfahrungen seien zu unterschiedlich, um sie in Mustern zusammenzufassen. „Den Betroffenen erscheinen ihre Erfahrungen unglaublich real, es sind keine Träume“, betont Gripentrog. „Alle bisherigen Modelle erklären das Phänomen unzureichend.“ eob
OZ