Noch vor 30 Jahren wandelten in der Halle Turbinen Atomenergie in Strom um. In diesem Sommer wird im Maschinenhaus des früheren Kernkraftwerks Lubmin eine andere, kraftvolle Art der Energie erzeugt: Die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern haben den spröden Industriebau als Festspielort auserkoren. In der Reihe „Unerhörte Orte“ gehört die alte KKW-Halle in Lubmin neben dem Neustrelitzer Paketzentrum und der Schweriner Straßenbahnwerkstatt zu den wohl ungewöhnlichsten Veranstaltungsorten dieser Konzert-Saison.
Am 8. September werden der Ausnahmeposaunist Nils Landgren, der Jazzcellist Stephan Braun und der Kölner Kammerchor Consono die Stahlskelett-Halle mit Jazz und Klassiktönen in einen neuartigen Klangraum verwandeln. Tickets dafür können zwar schon über die Festspiel-Homepage geordert werden, dennoch halten sich die Organisatoren mit Details zurück. Die genaue Planung sei noch im Entstehen, hieß es von der Festspielleitung in Schwerin, von der auch die Initiative für dieses außergewöhnliche Musikereignis ausging. In der seit Jahren erfolgreichen Reihe „Unerhörte Orte“ setzen die Konzertveranstalter auf den Kontrast zwischen Musik und Architektur. 2018 gehörten beispielsweise eine Freester Bootswerft und die Torgelower Eisengießerei zu den Festspielorten.
Bevor die Musiker mit ihren Instrumenten und das Festspiel-Publikum in feinem Zwirn die Turbinenhalle für sich beanspruchen, wartet auf die Organisatoren noch eine Menge Arbeit. Brandschutz, Fluchtwege, Toiletten – diese Detailfragen müssten in den kommenden Monaten geklärt werden, sagte EWN-Sprecherin Gudrun Oldenburg. Mehrere hundert Zuhörer sollen nach derzeitigem Planungsstand in dem zum Konzertsaal umgewandelten Hallenabschnitt Platz finden.
Die knapp 1000 Meter lange Turbinenhalle gehört zu den größten Industriebauten in Deutschland. In ihr liefen die Anlagen des zweiten, radioaktiv nicht belasteten Kraftwerks-Kreislaufs. Am 7. Dezember 1975 brach hier während des KKKW-Betriebs ein verheerender Kabelbrand aus. Durch den Brand fielen im Reaktor 1 die gesamte Blockwarte, die Kühlwasserpumpen und andere Havarieschutzsysteme aus, schreibt der Historiker Sebastian Stude in seinem 2018 erschienen Buch „Strom für die Republik – Die Stasi und das Kernkraftwerk Greifswald“.
Mit der Stilllegung und dem Rückbau des Kraftwerks wurde auch die Turbinenhalle geräumt. Teile des Industriebaus werden seit 2007 von Unternehmen zum Bau von Großkomponenten genutzt. Derzeit produziert dort der Kranhersteller Liebherr. Wer das musikalische Erlebnis im Sommer mit einem Exkurs in die KKW-Geschichte verbinden will, kann neben den Konzerttickets auch Karten für eine Führung durch den Musemsblock 6 buchen. Das Maschinenhaus als dauerhaften oder wiederkehrenden Konzertsaal zu nutzen, schließt Oldenburg aus. „Es wird ein einmaliges Ereignis bleiben.“
Martina Rathke