Greifswalder erzählt, wie er mit seinem angeborenen Herzfehler lebt

Endlich hat es geklappt. Seine erste Meerforelle, noch dazu ein 58 Zentimeter langes Exemplar, hat Fabian Cuypers am 11. Januar in der Ostsee vor Zingst (Vorpommern-Rügen) vom Ufer aus gefangen. Stolz präsentiert der Greifswalder ein Foto des stattlichen Raubfisches seiner Kardiologin Dr. Michaela Maier-Weidmann. Die Oberärztin am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin der Unimedizin Greifswald ist beeindruckt. Zumal ihr Cuypers erklärt, dass meist extrem viele Würfe und viel Ausdauer nötig sind, um einen dieser exzellenten Speisefische an den Haken zu bekommen. „Da muss ich wohl meine Vorstellungen vom Angelsport korrigieren“, räumt die gebürtige Bayerin lächelnd ein. Alles was der Ausdauerfähigkeit ihres Patienten diene, sei besonders wichtig, erläutert die erfahrene Medizinerin. Denn der 32-Jährige leidet – wie aktuell rund 300 000 Erwachsene bundesweit – an einem angeborenen Herzfehler. Nur eine Herzkammer ausgebildet: Konkret lebt der gebürtige Kölner, der seit 1994 in Greifswald wohnt, mit einem sogenannten Ein-Kammer-Herz. Es hat sich bei ihm also während der Entwicklung im Mutterleib nur eine funktionierende Herzkammer, die Ärzte sprechen von Ventrikel, ausgebildet. Die Folge: Es wird nicht, wie im Zwei-Kammer-System üblich, sauerstoffreiches und sauerstoffarmes Blut getrennt gepumpt. Stattdessen versorgt die extrem belastete Kammer den Körper nur mit einer Mischung aus sauerstoffarmen und sauerstoffreichem Blut. Die linke Herzkammer pumpt sauerstoffreiches Blut über die Hauptschlagader in den Körper, die rechte Herzkammer sauerstoffarmes Blut in die Lunge. Dort wird das Blut mit Sauerstoff angereichert. Bei einigen angeborenen Herzfehlern steht nur eine funktionsfähige Herzkammer zur Verfügung. Man spricht von einem Einkammerherz. Sowohl der Körper- als auch der Lungenkreislauf werden aus dieser einen Herzkammer versorgt. Dies bewirkt eine hohe Belastung dieser Kammer und eine Unterversorgung des Organismus mit Sauerstoff. Die Behandlung erfolgt durch eine Fontan-Operation – benannt nach dem französischen Herzchirurgen Francois Fontane. Hier wird der bisherige gemeinsamen Kreislauf getrennt, um die Sauerstoffversorgung zu verbessern und die Herzkammer zu entlasten. In mehreren Operationen – oft im Kleinkindalter – werden Herz und Gefäße so verändert, dass das „verbrauchte“ Blut aus dem Körper passiv direkt in die Lunge fließt und die funktionsfähige Herzkammer das „frische“ Blut in den Körper pumpt. Der Fontan-Kreislauf heilt den Herzfehler nicht. Er steigert aber die Lebensqualität des Patienten. Dieser bedarf einer lebenslangen speziellen medizinischen Betreuung. Franzose Fontane entwickelte OP-Verfahren: Die Behandlung dieser Patienten erfolgt durch ein spezielles chirurgisches Verfahren. Bei diesem nach dem französischen Herzchirurgen Francois Fontane benannten Eingriff, wird der bisherige gemeinsame Kreislauf getrennt. „Das verbrauchte Blut aus dem Körper fließt in der Folge passiv direkt in die Lunge“, erklärt die Medizinerin (siehe Kasten). Probleme schon bei geringen Belastungen: Bis zu seinem fünften Lebensjahr war Cuypers häufig im Krankenhaus, 2007 erfolgte der bislang letzte größere operative Eingriff. „Als Kind konnte ich keinen Sport treiben. Schon bei geringen Belastungen wurden die Finger und Lippen blau“, erzählt der junge Mann, der zurzeit als Doktorand im Bereich Humanbiologie an der Uni Greifswald arbeitet. „Natürlich habe ich manchmal neidvoll auf meine gesunde Zwillingsschwester Miriam geschaut, die unter anderem Marathon lief“, ergänzt er. Auch heute fehle es ihm mitunter an Kondition und Kraft. Doch kleinere Strecken legt er fast täglich mit dem Fahrrad zurück. „Und ich darf jetzt schwimmen. Das Schnorcheln im Urlaub in Ägypten war toll. Ich versuche mit meiner Freundin Isabelle einen ganz normalen Alltag zu leben“, betont der begeisterte Angler. Spezialsprechstunde für Patienten aus ganz MV: Seit 2015 betreut ihn Dr. Michaela Maier-Weidmann in der Hansestadt. Damit zählt er zu den fünf bis zehn Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler (EMAH) pro Monat, die aus ganz MV kommen und die hiesige Spezialsprechstunde nutzen. Erwachsene suchen Hilfe bei einer Kinderkardiologin? Angeborene Herzfehler sind die häufigste angeborene Fehlbildung. Pro Jahr kommen bundesweit mehr als 6000 Kinder mit solchen Fehlbildungen zur Welt. Dabei handelt es sich um einfache, kaum merkliche Defekte bis hin zu schweren Erkrankungen, die unbehandelt zum Tode führen. Mehr als 95 Prozent der Patienten erreichen heute das Erwachsenenalter. Zum Vergleich: Im Jahre 1940 lag die Überlebensrate der Kinder mit angeborenem Herzfehler bei 22 Prozent. Insgesamt leben rund 300 000 Erwachsene mit angeborenem Herzfehler in Deutschland. Gefahr: Schwere Komplikationen übersehen: Fakt ist, dass 1940 nur 22 Prozent der Kinder mit angeborenen Herzfehlern überlebten. Aktuell sind es gut 95 Prozent. Laut Deutscher Herzstiftung aber werden bundesweit Zehntausende dieser Frauen und Männer nicht ausreichend medizinisch beraten und versorgt. Zudem besitzen zahlreiche Ärzte keine ausreichende Erfahrung mit angeborenen Herzfehlern. „Damit riskieren die Betroffenen, Anzeichen für schwerwiegende Spätkomplikationen zu übersehen. Hierzu gehören Herzschwäche, Herzversagen, Lungenhochdruck, Herzinnenhautentzündungen oder Herzrhythmusstörungen bis hin zum plötzlichen Herztod“, warnen der Vorsitzende der Deutschen Herzstiftung, Prof. Dr. Thomas Meinertz, sowie Prof. Dr. Dr. Harald Kaemmerer und Dr. Rhoia Neidenbach vom Deutschen Herzzentrum München. Wenige Ärzte mit Zusatzqualifikation EMAH: „Insbesondere der Übergang dieser chronisch Erkrankten vom Jugend- in das Erwachsenenalter muss gut vorbereitet werden“, betont Prof. Dr. Matthias Heckmann. Der Leiter Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin der Unimedizin Greifswald ist froh, dass Dr. Michaela Maier-Weidmann über die Zusatzqualifikation EMAH verfügt. Im Nordosten besitzt diese laut Deutscher Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler nur noch Dr. Stefan Rosenstein. Dieser ist in den Helios Kliniken Schwerin tätig. Wir halten für Sie noch viele weitere Themen bereit: Lesen Sie hier mehr aus Mecklenburg-Vorpommern zu den Themen Gesundheit, Medizin und Familie Bis zum 21. März können Sie zudem an einer Umfrage zu den Themen Familie & Gesundheit teilnehmen. Wie ernähren Sie sich, wie viel Sport treiben Sie und über welche gesundheitsrelevanten Themen haben Sie sich schon Gedanken gemacht? Wer mitmacht, hat die Chance auf tolle Gewinne! Überregionale Themen-Specials des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) finden Sie hier Verzicht auf das Rauchen und Alkohol: „Bitte tief Luft holen!“ Die Oberärztin nimmt bei Fabian Cuypers unter anderem eine gründliche Ultraschalluntersuchung des Herzens vor. Sie stellt keine Auffälligkeiten fest. Als dieser versichert, in den vergangenen Wochen kein Herzrasen oder Herzstolpern verspürt zu haben, nickt die Fachärztin zufrieden. „Das Schöne ist, dass sich Vertrauen zwischen uns aufgebaut hat. Er setzt die Empfehlungen gut um“, sagt sie. Dazu gehören der strikte Verzicht auf das Rauchen und Alkohol sowie sportliche Aktivität. „Na ja, ein bisschen Alkohol konsumiere ich ab und an“, schränkt der Hansestädter ein. Doch ihm sei bewusst, dass nicht zuletzt hohe Selbstdisziplin entscheidend dazu beiträgt, den fragilen Gesundheitszustand nicht zusätzlich zu gefährden. Die ältesten Patienten, die sich einer vergleichbaren Fontane-Operation unterziehen mussten, seien heute etwa 50 Jahre alt“, gibt ihm seine Kardiologin mit auf den Heimweg. Lesen Sie auch: Klinikchef aus MV: Bei einem Herzinfarkt läuft die Uhr gegen den Patienten Leberfasten und Sport: So nahm eine Rostockerin bereits 32 Kilogramm ab Viele Kinder sind zu dick: Experte aus Rostock fordert mehr Sport gegen Verfettung Von Volker Penne