Corona-Homeschooling: Schüler aus Bad Doberan klagt bei Ministerin Martin

„Inzwischen ist für mich alles nur noch langweilig und eintönig“, schreibt Tahoe Susemihl in einem offenen Brief an MV’s Bildungsministerin Bettina Martin. Seit Mitte Dezember ist der Siebtklässler des Gymnasiums Friderico-Francisceum in Bad Doberan zu Hause und löst von dort die Aufgaben der Lehrer. „Ich fühle mich morgens erschöpft, es gibt keine Abwechslung im Tagesablauf und ich habe keine Lust mehr auf die Aufgaben, bin überhaupt nicht mehr motiviert und schaffe kaum etwas“, schildert Tahoe Susemihl. Er könne verstehen, dass es schwierig sei, die Schulen während des Lockdowns zu öffnen. „Ich bin aber davon überzeugt, dass man den Unterricht im Homeschooling verändern kann.“ Kritik: Es gibt nur selten Feedback: Der Tag von Tahoe Susemihl beginnt 8.30 Uhr. Aufstehen, frühstücken, dann geht es an den großen Tisch, der Laptop wird hochgefahren und auf die Lernplattform „itsLearning“ geschaut, auf der seine Lehrer die Aufgaben einstellen. Deutsch, Mathe, Englisch, Französisch, Chemie – die Aufgaben löst der 13-Jährige alleine. Er kritisiert: „Die erledigten Aufgaben müssen wir nur selten abgeben und ein Feedback erhalten wir auch nur selten. In einigen Fächern erhalten wir gar keine Aufgaben, zum Beispiel in Sport oder Kunst, dabei sind diese Fächer aus meiner Sicht genauso wichtig wie Mathe und Englisch.“ Lesen Sie auch Abitur-Prüfungen für Schüler in MV wegen Corona verschoben Schulen in MV bleiben auf: Viel Lob für Schwesigs Sonderweg Corona-Unterricht in MV: Wismarer Lehrerin berichtet aus ihrem Alltag Bis 16 Uhr sitze er täglich an den Aufgaben. „Selbst dann habe ich oft nicht alles geschafft.“ Seit dem 16. Dezember „habe ich nicht mehr persönlich mit einer Lehrerin gesprochen – es gab bisher keine Videokonferenzen oder Telefonate“. „Ich habe ein Recht auf Bildung“: Er wünsche sich, wieder in die Schule gehen zu können, er habe ein Recht auf Bildung, schreibt der Siebtklässler an die Bildungsministerin. „Ich möchte wieder gemeinsam mit meinen Mitschülern lernen, sie sehen und mit ihnen sprechen. Ich möchte Sport treiben, in der Klasse diskutieren und gemeinsam mit anderen lernen.“ Er fragt sich, warum es keine Videokonferenzen mit der Klasse gebe. „Warum bekommen wir nicht einfach mal eine gute Dokumentation oder ein Buch zum Lesen auf? Warum können wir nicht für Kunst ein tolles Bild malen? In Englisch könnten wir einen Film auf Englisch schauen und dann Fragen dazu beantworten. Es gibt viele Möglichkeiten, zu lernen, ohne täglich Arbeitsblätter auszufüllen.“ Der Appell an die Ministerin: „Bitte helfen Sie uns, dass uns das Lernen wieder Spaß macht.“ Zwei Söhne, zwei Schulen, unterschiedliches Lernen: Unterstützung erhält Tahoe Susemihl von seiner Mutter. „Bei den Aufgaben ist keine Anleitung dabei, er bekommt kein Feedback. Mir persönlich fehlt auch ein Wort der Motivation“, so Genevieve Susemihl. Bei ihrem älteren Sohn, der die 11. Klasse der Christophorusschule in Rostock besucht, erlebe sie das anders. „Er sieht seine Lehrer täglich in Videokonferenzen. Die Aufgaben sind vielfältig, er soll auch mal einen Film drehen“, schildert die 48-Jährige. Auch seien die Eltern zur Situation im Homeschooling befragt worden. Sie finde es wichtig, dass die Kinder ihre Lehrer sehen. „Wir wünschen uns eine größere Vielfalt bei den Aufgaben und dass die Kinder auch wahrgenommen werden.“ Für Tahoe Susemihl war am Freitag das erste Mal eine Videokonferenz mit der Klassenlehrerin angesetzt. „Sie versuchen bestimmt das Möglichste und wir haben auch gute Erfahrungen mit dem Gymnasium gemacht“, sagt Genevieve Susemihl. „Es sind Herausforderungen, aber es gab viel Zeit, sich darauf vorzubereiten und man sieht an anderen Schulen, dass es geht.“ Das Bildungsministerium hat den Brief ans Staatliche Schulamt Rostock weitergeleitet: „Dieses ist für die Schule zuständig und wird Kontakt mit dieser aufnehmen“, so Ministeriumssprecher Christian Moeller. Bevor Bettina Martin Tahoe Susemihl antworte, werde die andere Seite angehört. Aber: „Wir werden Herrn Susemihl antworten.“ Schulleitung im Gespräch mit der Familie: Schulleiterin Birgit Hacker hat den offenen Brief am Freitag erhalten. „Im Allgemeinen kann ich sagen, dass es mit der Lernplattform ‚itsLearning‘ gut läuft. Es werden Aufgaben kontrolliert und zurückgeschickt.“ Es gebe einen Austausch zwischen Schüler und Lehrer. In Rücksprache mit der Schulkonferenz sowie einer Schülervertreterin am Freitag habe es keine weiteren Hinweise auf solche massiven Beschwerden gegeben, so Birgit Hacker. „Wir sind im Gespräch mit der Familie.“ Von Anja Levien