Gustloff-Überlebender fasziniert Zuhörer

Kühlungsborn — Eine ganz persönliche Sicht auf eine der dramatischsten Schiffskatastrophen der Weltgeschichte: Das konnten die Besucher einer Lesung vor ein paar Tagen erleben. „Gleis 2 — Das Molli-Restaurant“ hatte Peter Weise eingeladen, aus seinem Buch „Hürdenlauf — Erinnerungen eines Findlings“ zu lesen. Erschienen ist es 2006 im BS-Verlag von Angelika Bruhn. Weise gilt als der jüngste Überlebende des Untergangs der „Wilhelm Gustloff“. Das Kreuzfahrtschiff der nationalsozialistischen Organisation „Kraft durch Freude“ war im Zweiten Weltkrieg als Lazarettschiff unterwegs. Auf seiner letzten Fahrt nahm es in Gotenhafen in der Danziger Bucht — heute Gdynia—, verwundete Soldaten und Tausende Zivilisten an Bord, um sie ins westliche Reichsgebiet zu bringen. Das Schiff war mit mehr als 10000 Menschen an Bord hoffnungslos überfüllt. Die Rote Armee rückte unaufhaltsam vor. Am 30. Januar 1945 versenkte ein sowjetisches U-Boot die „Wilhelm Gustloff“ mit drei Torpedo-Treffern. Schätzungsweise 9000 Menschen kamen dabei um, die meisten ertranken in der eiskalten Ostsee. 1252 Menschen konnten gerettet werden, darunter das Baby Peter Weise. „Ich möchte mein Buch nicht auf eine Flüchtlingsgeschichte reduziert wissen“, sagt der Rostocker. Seine Retter schätzten, dass er ein Jahr alt war, als sie in einem Rettungsboot „das letzte Bündel, das nicht steif gefroren war“ bei minus 18 Grad frühmorgens entdeckten. Drum herum waren nur Trümmer und Leichen. An diese Zeit hat Weise natürlich keine Erinnerungen. Daher ist der Einstieg in sein Buch fiktiv, der allerdings auf gründlichen historischen Recherchen beruht. Peter Weise erzählt ohne Pathos von einem Retter, der sein Vater wurde, der Kindheit und Jugend, der Heimatstadt Rostock, seiner Zeit als Kapitän auf DDR-Handelsschiffen und von seinem Job als Vorstand der Seehafen Rostock AG ab 1990. Bindet das immer ein in die große deutsche Geschichte. Als er zwölf Jahre alt war, entdeckte Peter Weise in einem Lederköfferchen alte Zeitungsausschnitte und Dokumente, die ihm sagten, dass er ein Findelkind war, das später adoptiert wurde. Seine leiblichen Eltern fand er nie und suchte auch nicht lange nach ihnen. Woher er wirklich stammt, weiß er bis heute nicht. Vielleicht aus Ostpreußen? Sein Dialekt klingt ein wenig danach, obwohl er die Mundart nie gelernt hatte. Wurde sie mit der Muttermilch eingesogen? In seiner Novelle „Krebsgang“ widmete Nobelpreisträger Günter Grass der Geschichte des Findelkindes einige Sätze. Peter Weise nahm mit ihm Kontakt auf. Es sei der Impuls gewesen aufzuschreiben, was aus diesem Kind geworden ist, erklärt er. Zu den Besuchern der Lesung im „Gleis 2“ gehörte der Kühlungsborner Peter Voß. „Der Untergang der ,Gustloff‘ ist jetzt 70 Jahre her. Ich bin sehr interessiert an dieser Geschichte, der Nachkriegsgeschichten und Ostpreußen“, so der 69-Jährige. Auch die Kühlungsbornerinnen Hanka Bolz und Karin Schachtschneider waren dort. „Wir wollen mehr über diese Zeit erfahren“, so Stadtführerin Hanka Bolz, die selbst schreibt. „Wir wollen mit solchen Veranstaltungen nicht nur Urlauber, sondern auch Einheimische ansprechen“, sagt Arne Schreiber, der Restaurantchef im „Gleis 2“. Peter Weise ist ein sehr produktiver Autor. Insgesamt fünf Bücher von ihm sind bisher im BS-Verlag erschienen — auch Kurzgeschichten und Kinderbücher. Kleiner Verlag aus Bargeshagen setzt auf Autoren aus der Region 630 Titel hat der BS-Verlag mit Sitz in Bargeshagen und Rostock seit seiner Gründung im Jahr 2000 herausgebracht. Der Schwerpunkt liegt auf regionaler Literatur mit Autoren aus Mecklenburg-Vorpommern. Begonnen hat es mit der Neuauflage von Titeln aus der DDR. 250 Autoren stehen im Verzeichnis des BS-Verlages. Der überwiegende Teil sind Schriftsteller der Gegenwart. Es finden sich aber auch Neuauflagen von Autoren aus der Vergangenheit darunter. Ein prominenter Name ist der Volkskundler Richard Wossidlo (1859-1939). 65 plattdeutsche Bücher sind bisher im BS-Verlag erschienen. Und 25 Kinderbücher. Für die passenden Illustrationen sorgt oft die Künstlerin Uta Ehlers. Verlegerin Angelika Bruhn organisiert rund 25 Lesungen im Jahr. Besonders gern kommt sie mit ihren Autoren ins Ehm-Welk-Haus in Bad Doberan. Sabine Hügelland

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