Wustrow: Suche nach Bernsteinzimmer geht weiter

Kurt Köhler kann sich noch gut an die letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges erinnern. Der heute 83-Jährige wohnte als Sohn eines Unteroffiziers der Flak-Artillerie-Schule auf der Halbinsel Wustrow. „Ich kann mich daran erinnern, dass in der Garnison kurz vor Kriegsende eine hektische, ja fast panische Betriebsamkeit angesichts der immer näher rückenden Alliierten herrschte. Immer wieder kamen Fahrzeugkolonnen an, luden ihre unter großen Planen und in Kisten verborgene Fracht ab und fuhren sofort wieder ab. Doch wenn einer dieser geheimen Transporte ankam, waren wir Kinder gleich hintenan. Uns blieb kaum etwas verborgen“, sagt der damals Achtjährige. So hätten er und seine Gefährten entdeckt, dass militärische Güter, darunter neuartige Flugzeuge der Luftwaffe, auf Wustrow ankamen, sagt Kurt Köhler. Dass auch das berühmte Bernsteinzimmer unter den Transporten dabei gewesen sein könnte, schließt er fast völlig aus. „Russen hätten Bernsteinzimmer garantiert gefunden“: Obwohl der jetzige Rentner seit vielen Jahrzehnten in Simmertal (Rheinland-Pfalz) lebt, kehrte er von 1990 bis 2018 fast alljährlich nach Wustrow zurück, um die Halbinsel und ihre Geschichte gründlich zu erforschen. „Es gibt keinen Fleck auf Wustrow, auf dem ich in dieser Zeit nicht war. Dabei habe ich teilweise mit ehemals hier stationierten Wehrmachtssoldaten auch nach dem Bernsteinzimmer gesucht, aber nicht eine Spur davon gefunden“, berichtet Kurt Köhler. „Wenn es hier versteckt worden wäre, hätten die Russen das Zimmer nach 1945 garantiert gefunden, denn die waren ja nicht dumm“, fügt er hinzu. Das besondere Interesse der Sowjets an diesem Kunstwerk erklärt sich aus der Geschichte. Der preußische König Friedrich Wilhelm I. hatte nämlich 1716 dem russischen Zaren Peter dem Großen die kostbare Wandtäfelung geschenkt. Später erhielt diese Gabe einen Platz im Sommerpalais von Zarskoje Selo, südlich von St. Petersburg. Lesen Sie auch: Wurden Teile des Bernsteinzimmers nach Ribnitz gebracht? Als Nazi-Deutschland 1941 die Sowjetunion überfiel, wurde das geraubte Bernsteinzimmer ins Königsberger Schloss gebracht. Dort soll es nach Meinung von Experten bei den schweren Kämpfen um die zur Festung erklärten Stadt Anfang 1945 verbrannt sein. Wurde der Schatz in mehreren Kisten per Flugzeug transportiert? Obwohl vieles dafür spricht, dass das Bernsteinzimmer nicht mehr existiert, hält sich hartnäckig das Gerücht, dass der legendäre Schatz auf Wustrow versteckt worden sei und dort bis heute liege. Befeuert wird diese Ansicht auch durch den Berliner Forscher Günter Wermusch (84), für den es bereits 2009 logisch war, dass sich der Kunstschatz auf der Halbinsel befinden müsse. Er vertraute dabei Aussagen des Piloten Peter Wählisch, der im Winter 1945 beim Abtransport des Bernsteinzimmers dabei gewesen sein soll. Lesen Sie auch: Sturmtief Gisela spült sensationellen Bernstein an Rügens Küste Dieser berichtete, dass er am 19. Januar den Auftrag erhalten habe, mit einer Junkers 52 von Thorn (Westpreußen) nach Rerik zu fliegen. An Bord der Maschine seien elf Kisten mit Bernstein-Paneelen gewesen. Obwohl die Russen das Flugzeug unter Beschuss genommen hätten, sei es unbeschadet Richtung Rerik davongekommen, sagte Peter Wählisch aus. „Befehl ausgeführt. Aktion Bernsteinzimmer beendet“: Wie Günter Wermusch seinerzeit verlauten ließ, hätten sich die Angaben des Piloten Wählisch mit einem damals vermutlich ans Reichsluftfahrtministerium geschickten Fernschreiben gedeckt. In ihm habe gestanden: „Befehl ausgeführt. Aktion Bernsteinzimmer beendet. Einlagerung in B III. Zugänge befehlsmäßig getarnt. Sprengung erfolgt.“ Was sich jedoch hinter dem Kürzel B III verbirgt, liegt bis heute im Dunkeln. Doch weder die Sowjets, die dort von 1945 bis 1993 ihren Stützpunkt hatten und zweifellos jeder Spur des Zimmers nachgingen, noch der Immobilien-Entwickler Anno August Jagdfeld, dem die Insel seit 1998 gehört, entdeckten das Gesuchte. Keine Suche solange kein verifizierbarer Hinweis da ist: Birger Birkholz, 55, Pressesprecher der Entwicklungscompagnie Heiligendamm, lässt sich dennoch darauf ein, Vermutungen zum Verbleib des Bernsteinschatzes anzustellen: „Für mich ist klar, wenn das Zimmer nach Wustrow gekommen sein sollte, wird vor allem der Kommandant der Schule zuerst darüber in Kenntnis gesetzt worden sein“, sagt er. Dieser hätte mit Sicherheit den Schatz in das sorgfältig vorbereitete Versteck bringen und dort verbergen lassen. „Ob allerdings, wie vermutet, das Areal um das einstige Gutshaus den hohen Anforderungen an die Geheimhaltung gerecht geworden wäre, wage ich zu bezweifeln“, sagt Birger Birkholz. Lesen Sie auch: Verfallen, verwittert, verloren: Das sind die Lost Places in MV für Einsteiger Wenn, dann wäre eher ein Bereich im hinteren Teil der Halbinsel bevorzugt worden, spekuliert er. Wie dem auch sei: Fest steht, dass „es, solange es keine verifizierbaren Hinweise gibt, die darauf hindeuten, dass Teile des Bernsteinzimmers auf Wustrow gebracht wurden, keinen Grund dafür gibt, danach zu suchen“, betont der Pressesprecher. Lesen Sie auch Ribnitz-Damgarten – Weltkriegs-Pilot: Ich zerlegte in Ribnitz Teile des Bernsteinzimmers Dauerzwist: Zehn Jahre Beutekunst-Dialog Streit um einen Zaun: So geht es mit der Halbinsel Wustrow weiter Von Werner Geske