Ausstellung „Wir sind alle illegal“ als Anstoß zum Nachdenken

Halbzeit beim Schönberger Musiksommer ohne Ausstellungswechsel? 2015 ja. Aber gerade das war Kuratorin Annette Czerny (50), von der das Konzept zur „Wir sind alle illegal“ genannten Exposition stammt, jetzt noch einmal Anlass, extra in die seit Juni laufende Ausstellung in der Laurentiuskirche einzuladen. Sieben junge Leute aus ihrem Bekanntenkreis, die die Exponate alle zum ersten Mal sahen, waren gekommen. Fazit: Die Ausstellung besticht durch ihre Vielfalt in der Themenaufnahme und den Facettenreichtum der Umsetzung. Jeder begeisterte sich auf andere und von seiner individuellen Sichtweise geprägten Auslegung der künstlerischen Absicht für eines der Projekte ganz besonders und ließ an dessen Beurteilung auch teilhaben. Und: Viel Zeit muss mitgebracht werden. Zwei Stunden hielten sich die Betrachter auf, die sich immer wieder auch im Dialog mit Annette Czerny wiederfanden. Luka Kunz (19) aus Pohnstorf hatte sich fesseln lassen von Aufnahmen des Fotografen Timo Vogt. Aufgenommen worden waren sie in Syrien und mit „Terroristen“ hatte er sie überschrieben. Weil in dem Land, aus dem auch Luka Kunz‘ Opa stammt, Ehrenamtliche, die zum Beispiel in einem Keller einen Kindergarten betreiben, zu Terroristen abgestempelt werden. Dass sie Mädchen und Jungen vor den Granaten des Regimes schützen wollen, gilt als illegal. Helfer, die Menschlichkeit zeigen und andernorts dafür geehrt würden, in Syrien aber selbst um ihr Leben bangen müssten, erschütterte Luka Kunz. „Warum ist das illegal?“, fragte er und seine Körpersprache unterstrich das, was auch Timo Vogt zu seinen Bildern geschrieben hat: „ . . . wir wissen, was gut, was böse ist. Illegal sind die anderen.“ Für Mathis Stolzenwald (18) hat Grit Sauerborn mit ihrem Projekt eine „ziemlich coole Idee“ gehabt. Sie zeigt mithilfe von Tusche auf Papier Fußspuren. Drei große, miteinander korrespondierende Blätter hat sie ausgestellt. Der Künstlerin geht es um des Persönliche an der Spur, die ein Mensch hinterlässt. Legal oder illegal. In guter Absicht oder nicht. Mathis Stolzenwald total fasziniert: „Eine gute Darstellungsform hat die Künstlerin gefunden. Simpel und doch so aussagestark.“ Der Schüler aus Hannover fragte sich, was von einem Menschen auf der Flucht bleibt, wenn sein Fußabdruck verwischt, irgendwann weg ist . . . „Menschen, die Kirchen bauen“, philosophierte er um sich blickend, „hinterlassen ganz andere Spuren.“ „Nirgends“ nannte Annette Czerny ihre Klanginstallation im Zusammenspiel mit Glas und Schrift. Frauen singen Wiegenlieder. Eines wurde auch im syrischen Homs aufgenommen, kurz bevor die Situation dort eskalierte. Auf Wänden offener Glasräume ließ Annette Czerny Menschen schriftlich zu Wort kommen, die zu den unterschiedlichsten Zeiten und aus den verschiedensten Gründen geflohen, ausgewandert oder umgezogen waren. Auch den 19-oder 20-jährige Muhammad aus Syrien, der dieser Tage Kirchenasyl gefunden hat in Deutschland und seine in Norwegen lebende Familie so sehr vermisst. Für Leona Ohsiek (20) und Sena Kunz (17) ist die Atmosphäre im Vorraum zum Glockenturm „so bewegend, die Worte gehen so unter die Haut“. Das Ausstellungsthema will Annette Czerny als Aufruf zu Empathie, Mut und Menschlichkeit verstanden wissen, erklärte sie. „Manchmal ist illegales Tun erforderlich, um menschlich legitim zu handeln.“ Zur Exposition Geöffnet ist bis 19. September, dienstags bis sonntags von 12 bis 17 Uhr. 17 Künstler an der Zahl, gibt es 2015 keine zweite Schau. Dabei sind: Tanja Zimmermann, Janet Zeugner, Miro Zahra, Barbara Wetzel, Timo Vogt, Reiner Viltz, Andre van Uehm, Grit Sauerborn, Gudrun Brigitta Nöh, Antje Neppach, Daniela Melzig, Kit Kjaerbye, Ole Holm, Mette und Kristoffer Glyholt, Annette Czerny, Kerstin Borchardt. Cornelia Roxin

Schönberg - Ausstellung „Wir sind alle illegal“ als Anstoß zum Nachdenken