Deponie Ihlenberg hat neuen Chef: „Mein Ziel ist es, Vertrauen zu schaffen"

Etwa 140 Beschäftigte arbeiten heute auf der Deponie, die früher auch Mülldeponie Schönberg genannt wurde. Sie liegt vor den Toren Lübecks zwischen Selmsdorf und Schönberg (Kreis Nordwestmecklenburg). Vom 118 Meter hohen Müllberg kann man bei guter Sicht die sieben Türme Lübecks oder das Maritim-Hotel in Travemünde sehen. Viele Lübecker blicken seit Jahrzehnten kritisch auf die Deponie, sorgen sich, dass sie das Grundwasser belastet. Manche halten sie für eine „tickende Zeitbombe“, weil schon zu DDR-Zeiten auch viel gefährlicher Müll eingelagert wurde. Die Deponie gehört seit 2002 allein dem Land Mecklenburg-Vorpommern. Herr Forster, seit Anfang November sind Sie der neue Chef der Deponie Ihlenberg. Mit welchen Gedanken haben Sie dieses Amt angetreten?. Ich bin in Sassnitz auf Rügen geboren und jetzt nach 30 Jahren nach Mecklenburg-Vorpommern zurückgekehrt. Ich war knapp 20 Jahre in Bremen, habe dort erst bei Daimler-Benz gearbeitet und bin dann bei der Firma Nehlsen in die Entsorgungswirtschaft eingestiegen, habe in verschiedenen Positionen als Geschäftsführer gearbeitet. 2008 wollte ich etwas Neues machen und hatte die Möglichkeit die Gesellschaft für Abfallbewirtschaftung im Ostalbkreis (GOA) in Baden-Württemberg zu übernehmen. Ein Betrieb mit 430 Mitarbeitern, halb kommunal, halb privat, mit drei Deponien. Was war Ihre Position dort? Da war ich alleiniger Geschäftsführer, eine reizvolle Aufgabe. Irgendwann entstand bei mir aber der Wunsch, wieder in den Norden zu gehen. Als ich angesprochen wurde, ob die IAG etwas für mich wäre, habe ich mich mit dem Gedanken befasst und dann zu einer Bewerbung entschieden. Jetzt freue ich mich über die Nähe zur Heimat, zwei Stunden zur Insel Rügen, wo meine Familie lebt. Insofern war das für mich ein kleiner Lottogewinn, wieder zurückzukehren. Die Deponie ist weithin bekannt, die größte in Norddeutschland. Wie viel Müll kommt jährlich hier an? Sie ist mit 165 Hektar Fläche eine der größten Deponien in Deutschland. Bis zum Jahr 2017 haben wir jährlich etwa 600 000 Tonnen angenommen. Das Land hatte dann beschlossen, dass die Menge auf 450 000 Tonnen sinken sollte. Im Jahr 2020 kommt allerdings coronabedingt weniger Müll. Immer wenn Industrie, Handwerk und Gewerbe nicht laufen, fallen weniger Abfälle an. Insofern werden wir dieses Jahr deutlich unter den 450 000 Tonnen bleiben. Je nach Auslastung kommen täglich im Schnitt etwa 100 Lastwagen mit Abfall. Im Jahr 2035 soll die Deponie geschlossen werden. Welche Ziele haben Sie bis dahin? Hier sind über Jahrzehnte Abfälle eingelagert worden. Unser oberstes Ziel ist es, größtmögliche Sicherheit für die Umwelt herzustellen. Diese Hauptaufgabe haben alle Mitarbeiter verinnerlicht, dafür übernehmen wir die Verantwortung. Grundsätzlich planen wir die Verwertung des Deponiegases und dass wir die Deponie mit einer Photovoltaik-Anlage belegen. Das Thema erneuerbare Energien werden wir strategisch vorantreiben. In Lübeck ist die Deponie nach wie vor ein großes Thema. Der Umweltsenator hat gesagt, wir wissen ja gar nicht, was da alles liegt. Wie gehen Sie mit den Sorgen um? Wir behandeln die Deponie so, dass wir für alle Fälle gerüstet sind. Das heißt, die Abdichtungen nach unten und oben werden nach absolut neuestem Stand der Technik entwickelt und aufgebracht. Die Abfälle, die wir annehmen, werden so angeliefert, dass wir möglichst wenig Emissionen haben. Beispiel: Mineralwolle und Asbest etwa wird nur verpackt angeliefert, da hat sich viel verändert in den vergangenen Jahren. Alles, was wir im Deponiekörper haben, messen wir über Sickerwasseraufbereitungsanlagen, in Messbrunnen und über Gaserfassung. Wir machen ständig Proben und Überwachungen, so dass wir sagen können, da dringt nichts nach außen. Dafür haben wir 2018 ein teures und modernes Labor eingerichtet, in dem ausgebildete Chemiker quasi fast in Echtzeit überwachen. Man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass ein Großteil der Belegschaft in unmittelbarer Umgebung lebt und so ein ausgesprochenes Eigeninteresse an einer unbelasteten Umwelt besteht. Aber am Anfang der Deponie, noch zu DDR-Zeiten, hieß es, man wisse gar nicht genau, was dort alles abgelagert wurde. Stimmt das? Wir können nicht für die DDR-Zeiten sprechen. Was wir machen können, ist, Messungen durchführen; recherchieren, Proben nehmen und sicherstellen, dass keine belasteten Stoffe in die Umwelt gelangen. Wir haben überall Grundwasserspiegelmessungen, wo wir jegliche Veränderung der Belastung erfassen und in Zusammenarbeit mit den Behörden natürlich sofort melden, wenn es Auswirkungen gibt. Mögliche Gefährdungen entstehen fast immer im Sickerwasser eines Deponiekörpers. Dieses fangen wir auf und fahren es durch eine millionenteure Aufbereitungsanlage. Der Stand der Technik hat sich überall verändert. Es gibt keine Deponie in Europa, die in den 80er und 90er Jahren nach dem Stand der Technik von heute betrieben wurde, weder im Osten noch im Westen. Wir müssen uns weiterentwickeln und die Themen der Vergangenheit nach heutigen Maßstäben messen, beurteilen und mit modernen Lösungen abarbeiten. Ich habe noch nie eine Deponie gesehen, die so sauber und mit so viel Anspruch an Umwelt- und Arbeitsschutz betrieben wird. Und ich habe schon viele gesehen. . . Wissen Sie genau, wo der Müll liegt, der damals im ersten Jahrzehnt der Deponie eingelagert wurde? Wir kennen die Abschnitte, die in den Jahren verfüllt wurden, und wir kennen die Bodenbeschaffenheit. Daher wissen wir, wo Abfälle in welchem Zeitraum eingebaut wurden. Wir wissen aber nicht, beispielsweise welcher Lastwagen am 1. August 1983 hier welchen Abfall abgeladen hat. Aber das weiß auch kein anderer Deponiebetreiber. Dies ist bei dem gigantischen Aufwand, den wir betreiben, auch nicht notwendig. Bei Ihrem Antritt haben Sie gesagt, sie wollen Vertrauen in die Deponie schaffen. Bezieht sich das auch auf Lübecker, die die Deponie besonders kritisch sehen? Mein Ziel ist es, Vertrauen in der ganzen Region zu schaffen. Ich hatte schon viele Gespräche mit Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern erst einmal von den unmittelbar anliegenden Gemeinden. Grundsätzlich möchte ich Vertrauen in der Politik und in der Bevölkerung schaffen, auch bei den Verbänden, und ich möchte mich mit Bürgerinitiativen unterhalten. Einfach um zu signalisieren, was wir vorhaben und um ein größtmögliches Maß an Transparenz herzustellen. Misstrauen entsteht immer, wenn keine Transparenz da ist, wenn man das Gefühl hat, dass einem etwas verheimlicht oder mit Halbwahrheiten gearbeitet wird. Das möchte ich nicht. Immer frühzeitig ins Gespräch kommen: Das habe ich auch in Baden-Württemberg so gehandhabt und bin damit sehr gut gefahren. Henry Forster wurde 1966 in Sassnitz auf Rügen geboren, erlernte in der Hochseefischerei einen technischen Beruf und fuhr bis zur Abwicklung der DDR-Flotte 1990 als Maschinist zur See. Im Mercedes-Benz-Werk in Bremen qualifizierte er sich zum Meister im Maschinenbau und wechselte 1994 als Quereinsteiger in die Entsorgungswirtschaft, zur Nehlsen AG in Bremen. Heute ist Forster in der Entsorgungswirtschaft seit gut 25 Jahren in führenden Positionen tätig. 12 Jahre lang war er Geschäftsführer der Gesellschaft im Ostalbkreis zur Abfallbewirtschaftung (GOA), die mit über 400 Beschäftigten die Entsorgung im drittgrößten Landkreis von Baden-Württemberg betreibt. Forster ist ehrenamtlich Schatzmeister und Mitglied des geschäftsführenden Präsidiums des Bundesverbandes Sekundärrohstoffe und Entsorgung (BVSE), des mit fast 1000 Mitgliedsunternehmen größten Entsorgerverbandes Europas. Lesen Sie auch Erhöhtes Krebsrisiko wegen der Mülldeponie Ihlenberg? Neue Studie gestartet Nach Prüfbericht: Deponie Ihlenberg soll 2035 schließen Die Hansestadt Lübeck fürchtet die Gefahr durch die Altlasten der Deponie Ihlenberg Für Schleswig-Holstein ist diese Deponie auch sehr wichtig. Welcher Müll kommt hierher? Vor allem mineralische Abfälle, etwa Straßenaufbruch, Schutt vom Rückbau von Gebäuden, Schlacke von Müllverbrennungsanlagen – vereinfacht gesagt alles, was nicht mehr brennt, muss in Deutschland auf eine Deponie. Recycling und Entsorgungswirtschaft ist Teil von Produktkreisläufen. Eine Werft; Industrie und Handwerk kann nicht existieren, ohne dass Sonderabfälle entstehen. So bildet die Deponie Ihlenberg Entsorgungssicherheit für den nordostdeutschen Raum, weil sie die größte und eine der modernsten ist. Sie kann Abfälle einlagern, die andere nicht aufnehmen können. Sondermüll aus dem Ausland wird seit 2019 nicht mehr angenommen. Sie haben eine Krebsstudie bei der Universität Greifswald in Auftrag gegeben. Gibt es bereits Ergebnisse? Nein, da ist durch die Corona-Situation von Seiten der Universität etwas Verzögerung entstanden, unter anderem müssen dafür Krebsregister ausgewertet werden. Nach meinem Amtsantritt habe ich gleich mit dem zuständigen Professor telefoniert. Wir erwarten die Ergebnisse dieser Studie jetzt im Sommer 2021, dann können wir sie vorlegen. Wie soll später einmal über die Deponie gesprochen werden, wenn sie 2035 wie geplant geschlossen wird? Mir ist das Signal sehr wichtig, dass die Deponie auch nach der Schließung noch in unserer Obhut bleibt. Wir pflegen weiter, überwachen weiter, führen alle Analysen weiter, sodass die Bevölkerung sicher sein kann: Da wird nichts sich selbst überlassen. Dann wäre es natürlich schön, wenn das Umfeld sagt, sie haben dort eine tolle Arbeit gemacht und einen gesellschaftlichen Nutzen erbracht. Ein Deponiebetrieb ist ja immer Teil einer Wertschöpfungskette. Sie können heute kein Produkt entwickeln, ohne an dessen Ende zu denken. Wenn wir heute Windkraftanlagen oder Elektroautos bauen, dann ist das der Abfall von morgen. So ist das auch mit Sonderabfällen. Diese Deponie erwirtschaftet jetzt schon das Geld für die Zeit der Nachsorge, wenn sie geschlossen ist. Haben Sie einen unbefristeten Vertrag? Mein Vertrag läuft über fünf Jahre, das ist normal in diesen Managementpositionen. Wenn die Gesellschafter zufrieden sind, wird er verlängert. Das ist ein bisschen wie beim Fußball, wenn jemand 40 Tore schießt, hat das Management den Wunsch, schon vorher zu verlängern. Man muss erfolgreich sein. Erfolg wird bei der IAG aber nicht als Profitsucht verstanden. Erfolgreich werde ich sein, wenn alle Beteiligten mich schätzen und mir und meinem Team vertrauen. Das bedeutet, zur gleichen Zeit, wenn Sie in Rente gehen, könnte die Deponie 2035 schließen... Das würde ungefähr passen. Ich bin kein sprunghafter Mensch, habe nicht alle zwei, drei Jahre das Unternehmen gewechselt. Man braucht eine gewisse Zeit, um ein Unternehmen kennenzulernen und um Vertrauen zu schaffen und Zusammenarbeit zu entwickeln. Erst nach einigen Jahren erntet man dann die Früchte der Arbeit. Ich habe schon vor, das hier als Zielgerade meiner beruflichen Laufbahn zu sehen, bin aber nicht ängstlich. Ich habe nach 26 Jahren einen Namen in der Branche. Ich glaube, dies ist wichtig um ein eigenes Standing mit einem großen Erfahrungsschatz anzubieten. Von Christian Risch