Der Minister im Urlaub

Klützer Winkel statt Teneriffa, Bildungsminister Mathias Brodkorb setzt bei seinem Sommerurlaub auf Tradition. Er erholt sich mit seiner Frau und seiner Tochter (3) im Gutshaus von Gertrud Cordes in Stellshagen. Ostsee-Zeitung: Wie viel Urlaub hat ein Minister überhaupt? Mathias Brodkorb: Das ist so genau nicht geregelt, ich orientiere mich am öffentlichen Dienst. Aber 30 Tage schaffe ich meistens nicht. OZ: Seit wann erholen Sie sich in Stellshagen? Brodkorb: Seit zwölf Jahren. Wir haben irgendwann eine Anzeige in der Zeitung gesehen, und da wir uns vegetarisch ernähren, sind wir hierher gefahren. Auch wenn es zu Anfang wohl Vorbehalte gab, man wird hier richtig satt und es schmeckt sehr lecker. OZ: Was bewegt einen Rostocker dazu, sich im Klützer Winkel zu erholen? Brodkorb: (schmunzelt) Rostock ist natürlich am schönsten, aber der Klützer Winkel kommt kurz danach. Einfach idyllisch, eine kleine Oase. OZ: Vor zwölf Jahren waren Sie außerhalb von Rostock kaum bekannt. Das hat sich inzwischen geändert. Wie wird der Minister heute in Stellshagen empfangen? Brodkorb: Meine Funktion spielt hier zum Glück keine Rolle. Frau Cordes (Gertrud Cordes, Leiterin des Gutshauses, Anm. d. Red.) handhabt das sehr professionell. OZ: Keine politischen Themen im Urlaub? Brodkorb: Natürlich unterhalten Frau Cordes und ich uns auch über einige berufliche Dinge, aber das meist erst am Ende des Urlaubs. OZ: Nun ist es kein Geheimnis, dass Gertrud Cordes zusammen mit anderen Einheimischen für den Erhalt der Damshagener Schule kämpft. Das war doch mit Sicherheit schon ein Thema. Brodkorb: Ja. Aber wir nutzen unsere jahrelange Bekanntschaft nicht politisch. Es hat mit Frau Cordes und der Bürgermeisterin ein Gespräch gegeben. OZ: Mit welchem Ergebnis? Brodkorb: Es ist wirklich toll, wie sich viele Menschen für die Schule engagieren. Aber realistisch betrachtet muss die Schule von der Gemeinde wohl zum Schuljahr 2014/15 geschlossen werden. OZ: Mit welchen Folgen? Brodkorb: Dass man dann die Grundschule in Boltenhagen stärkt und die Kinder, die an den Stadtgrenzen von Grevesmühlen leben, auch dort zur Schule gehen können und nicht bis nach Boltenhagen fahren müssen. Wenn die Gemeinde die Schule in Damshagen aufgibt, wird Geld frei, das wir in Boltenhagen zusätzlich einsetzen könnten, als volle Halbtagsschule zum Beispiel. OZ: Haben die kleinen Schulen auf dem Land kaum eine Chance? Brodkorb: Viele Jahre gab es den Grundsatz "Kurze Wege für kurze Beine", das gilt auch heute noch. Aber wir sehen, dass immer mehr Lehrer sagen, wir wollen und können es so nicht mehr leisten. Denn wenn dort ein Lehrer ausfällt, kommt es zu großen Problemen. Das gilt auch für Damshagen, dort hat inzwischen sogar die Schulleiterin die Schule verlassen. Und auch viele Eltern haben Anträge auf Schulwechsel gestellt. Das ist ein Alarmzeichen. Wir sollten auf unsere Lehrer hören. OZ: Welches Buch lesen Sie gerade? Brodkorb: „Bloodlands: Europa zwischen Hitler und Stalin“, eine Abhandlung über die osteuropäischen Todeszonen im Umfeld des Zweiten Weltkrieges. OZ: Nicht unbedingt leichte Urlaubslektüre? Brodkorb: Ich interessiere mich sehr für das Thema, vor allem für die Hintergründe. Warum haben die Menschen damals so reagiert? Um sich heute mit Rechtsextremismus auseinanderzusetzen, muss man verstehen, wie diese Menschen denken. OZ: Sie engagieren sich seit vielen Jahren gegen Rechts. Wie sehen Sie die Szene im Land? Brodkorb: Ich denke, dass die rechtsextreme Szene zum Glück große Probleme hat und in einer massiven Krise steckt. Sie hatte ihren Aufschwung, als es in Mecklenburg-Vorpommern wenig Arbeitsplätze und keine Perspektiven gab. Das ist vorbei, auch wenn es in einigen Regionen noch Schwierigkeiten gibt. Ich bin optimistisch, dass die NPD im Landtag bald Geschichte ist. OZ: Wie setzen Sie sich mit rechten Gesprächspartnern auseinander? Brodkorb: Es gab ein Schlüsselerlebnis Ende der 1990er Jahre auf einem Landesparteitag der SPD, dort tauchte der Landesvorsitzende der NPD auf. Ich als glühender Jungsozialist und durchaus in Geschichte bewandert, ließ ich mich auf eine Diskussion mit ihm ein. OZ: Die wie endete? Brodkorb: Nicht sehr erfolgreich für mich. Denn jedes meiner Argumente zu Hitler und dem Zweiten Weltkrieg entkräftete er unter anderem mit den Worten, dass er damit überhaupt nichts zu tun hätte. Damals habe ich gemerkt, dass diese jungen Leute anders ticken. Und deshalb muss man das Thema auch anders anpacken. OZ: Sie haben erwähnt, dass Sie auch selbst im Urlaub schreiben. Was bringen Sie zu Papier? Brodkorb: Im Moment einen Text über Otto Strasser. Dem Bruder von Georg Strasser, der zusammen mit Goebbels eine linke Gruppierung innerhalb der NSDAP gründete, die Schwarze Front, das waren Gegner von Hitler. Otto Strasser trat 1930 aus der NSDAP aus und arbeitete aus dem Exil gegen Hitler, sein Bruder und Goebbels erhielten wichtige Posten und änderten ihre Meinung. Eine ganz interessante Geschichte über den „linken“ Nationalsozialismus. Ich finde Otto Strasser wichtig, weil er heute noch für viele junge Rechtsextremisten ein Bezugspunkt ist. Die versteht man nicht allein mit Hitler. OZ: Wie schaffen Sie es im Urlaub abzuschalten? Brodkorb: So gut wie nie zuvor, der Schlüssel zum Erfolg ist: keine Zeitung lesen. Das habe ich so noch nie gemacht, aber es funktioniert. Für das Ministerium bin ich natürlich erreichbar. OZ: Ausflüge? Brodkorb: Wenig, ich habe genug Stress im Job, sodass ich die Ruhe hier wirklich genieße. Und dann dieses Wetter, dafür kann man nur dankbar sein. Aber das Künstlerhaus Plüschow haben wir besucht. Das musste einfach sein. Unterrichtsausfall in MV liegt bei zwei Prozent Ostsee-Zeitung: Die Antwort der Landesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen zum Schulausfall brachte große Probleme zum Vorschein. Wie reagiert das Bildungsministerium darauf? Brodkorb: Die Rahmenpläne an den Schulen sind so aufgebaut, dass ein Spielraum vorhanden ist und Unterrichtsausfall notfalls inhaltlich kompensiert werden kann. Die Zahlen stammen übrigens aus 2012/13. OZ: Wie ist ist der Stand jetzt? Brodkorb: Eigentlich müsste es besser geworden sein. OZ: Warum? Brodkorb: Weil wir das Personal bereits rechtzeitig vor einem Jahr deutlich aufgestockt haben. Allein 170 Vertretungslehrerstellen gibt es rechnerisch inzwischen in M-V, mit einem Schwerpunkt für die Grundschulen. Das ist fast eine Verdoppelung in drei Jahren. Die Ausfallquote lag 2012/13 übrigens bei zwei Prozent. OZ: Trotzdem gibt es Probleme. Brodkorb: Natürlich. Ziel ist es, dort zu helfen, wo es noch Probleme gibt, wo die Ausfallquote deutlich über dem Durchschnitt liegt. OZ: Wie ist der Stand bei der Problematik "Lehrermangel"? Brodkorb: Es gibt keinen akuten Lehrermangel im Schulsystem. Im Jahr 2011 hatten wir 240 Stellen landesweit zu besetzen und konnten nur 150 einstellen. Zu 2014/15 mussten wir 1000 Stellen besetzen und es fehlen nur noch 150 Lehrkräfte. Ich finde das einen erheblichen Erfolg, und wir haben ja noch etwas Zeit bis zum neuen Schuljahr. Der Grund dafür, dass wir so viele Bewerber gefunden haben, ist die Verbeamtung. Ohne diesen Schritt hätten wir in der Tat ein Problem und könnten auch kein 50-Millionen-Euro-Paket für die Bildung im Land umsetzen. OZ: Die Lage hat sich also entspannt? Brodkorb: Nicht nur das, sie hat sich deutlich verbessert. Natürlich gibt es einige Standorte, wo für bestimmte Fächerkombinationen der richtige Kandidat nicht sofort bereit steht. Aber das ist für einen Geschäftsbereich mit 12000-Mitarbeitern nicht ungewöhnlich. OZ: Der Unterricht für 2014/15 ist gesichert? Brodkorb: Mit den 1000 Stellen, die wir besetzen können, haben wir bei etwa gleichbleibenden Schülerzahlen 600 Lehrer zusätzlich für Qualität. Die Stellen, die für die Absicherung des Unterrichts benötigt werden, konnten längst besetzt werden. Vor allem auch in den Grenzregionen zu Schleswig-Holstein profitieren die Schulen, denn die Lehrer verdienen durch die Verbeamtung mehr als im Nachbarland. Promis im Urlaub Bis zum vergangenen Sommer hatte die Weiße Wiek in Boltenhagen jede Saison prominenten Besuch. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) hatte sich in den vergangenen Jahren im Sommer mit seiner Familie im Ostseebad erholt. Mit dem Ende der FDP im Bundestag endete auch der Sommerurlaub in MV. Die Schauspieler Jürgen Vogel und Martin Semmelrogge hatte sich ebenfalls für die Weiße Wiek bei ihren Aufenthalten entschieden. Wobei für Martin Semmelrogge der Abschied etwas früher kam, als er erwartet hatte. Weil es Ärger mit seinem Hund gab, musster der Schauspieler, der damals ein Engagement bei den Piraten in Grevesmühlen angetreten hatte, sich frühzeitig eine neue Unterkunft suchen. Interview: Michael Prochnow

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