„Es war ein eisiges Verhältnis“

Manfred Krellenberg hielt an der innerdeutschen Grenze zwischen Herrnburg im Osten und Lübeck-Eichholz im Westen Wacht, als er vom Fall der Mauer erfuhr. Ein Kollege ging am Abend des 9. November 1989 auf ihn zu, sagte: „Was machen Sie denn noch hier? Die Grenze ist offen. Ich komme gerade aus Schlutup. Da ist die Hölle los.“ Manfred Krellenberg weiß noch genau, was ihm in diesem Moment durch den Kopf ging: „Als Deutscher habe ich große Freude empfunden. Aber ich sah mich auch als Zollbeamten — und meinen Traumjob flöten gehen.“ Dem 25-jährigen Mitarbeiter des Lübecker Zollkommissariats Süd war sofort klar: „Wenn jetzt schon die Menschen von Selmsdorf nach Schlutup dürfen, dann ist hier meine Arbeit bald vorbei.“ Was die Wendejahre vielen Bürgern der DDR brachten, das brachten sie auch dem Bundesdeutschen Manfred Krellenberg: Zukunftsängste. An der Grenze zwischen zwei Machtblöcken zu arbeiten, das war für Manfred Krellenberg wichtig, herausfordernd, ausfüllend — auch wenn die Teilung für ihn etwas Unnatürliches hatte und das Verhältnis zu den Grenzsoldaten, die ihm auf Herrnburger Seite gegenüberstanden, vor dem 9. November 1989 alles andere als angenehm war: „Es war ein eisiges Verhältnis.“ Manfred Krellenberg nahm es nicht persönlich. Er sagt über die Angehörigen der DDR-Grenztruppen, die er tagtäglich sah: „Ich habe sie nicht verteufelt. Es waren junge Leute wie ich auch. Ich wusste, dass sie nur ihre Befehle ausführen.“ Manfred Krellenberg fragte sich oft, wie sein Leben verlaufen wäre, wenn er 1964 auf der anderen Seite zur Welt gekommen wäre. Zwischen Herrnburg und Lübeck beobachteten sich die Soldaten auf der Ostseite und die Mitarbeiter des Zolls auf der Westseite. Manchmal fotografierten sie ihr Gegenüber. Miteinander zu reden, war tabu. Auch Mitarbeiter des Zolls durften nicht mehr sagen als „Guten Tag“. Das änderte sich nach dem 9. November. Manfred Krellenberg berichtet: „Nach einigen Tagen kamen erste Gespräche auf. Wir haben durch diese Gespräche gemerkt, dass uns viel mehr verbindet als trennt. Das war eine schöne Erfahrung.“ Es dauerte nicht lange, da wurde der Zollmitarbeiter West von einem Oberfähnrich Ost zu sich nach Hause in Lüdersdorf eingeladen. „Wir haben über Gott und die Welt gesprochen“, erzählt Manfred Krellenberg. Der DDR-Grenzaufklärer zeigte einige Fotos. Es waren Bilder dabei, auf denen Krellenberg zu sehen ist. Der Mann aus dem Westen hatte auch eine Überraschung für den Mann aus dem Osten dabei. Krellenberg suchte aus seinen mitgebrachten Dokumenten die Fotos heraus, die er vom Grenzsoldaten der DDR gemacht hatte. Krellenberg ist sich sicher: Es waren Momente, die er Zeit seines Lebens nicht vergessen wird. Manfred Krellenberg arbeitet noch heute für den Zoll. Zunächst wurde er in den Hamburger Freihafen versetzt. Seine heutige Aufgabe, Geldforderungen zu vollstrecken, ist nicht mehr der Traumjob von 1989. Wenn er an den Fall der Mauer und die Folgen denkt, dann überwiegt bei ihm trotzdem das Gute. „Ich bin froh, dass es so gekommen ist.“ Buchempfehlung: Manfred Krellenberg: „Zwischen Bad Schwartau und innerdeutscher Grenze“. 23,52 Euro Jürgen Lenz

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