Lehrstück über Folgen des Rassismus

Am Anfang ist alles gut, in Ordnung, heile Welt. „Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt. Ein Freund bleibt immer Freund, auch wenn die ganze Welt zusammen fällt“, singt die Sopranistin Melanie Hirsch in der Kirche in Schönberg. 300 Schüler des Ernst-Barlach-Gymnasiums hören ihr zu. Sie erleben den Beginn von „Adressat unbekannt“, einem „Stück gestalteter Zeitgeschichte in Musik und Text“. So war es gestern Nachmittag in einem Jugendkonzert, veranstaltet vom Schönberger Musiksommer und der „Amadeu-Antonio-Stiftung“ genannten Initiative für Zivilgesellschaft und demokratische Kultur. Es war ein ansprechendes und anspruchsvolles Konzert — anspruchsvoll auch für die Jugendlichen, an die sich die Aufführung mit dem Wunsch richtete, den hoch konzentrierten Vorträgen ebenso konzentriert zu folgen. „Adressat unbekannt“ ist ein Stück nach dem gleichnamigen Roman von Kathrin Kressman Taylor, der 1938 im New Yorker „Story Magazine“ erschien. Die Autorin gestaltete den Text als Briefwechsel zwischen einem Juden, der in San Francisco lebt, und einem Deutschen, der von dort aus in seine Heimat zurückgekehrt ist. Die Handlung spielt zwischen 1932 und 1934, also vor, während und nach der Machtübergabe an Adolf Hitler. Zu Beginn schreibt Martin Schulse aus Schloss Rantzenburg bei München noch an „Max, mein treuer Gefährte“ und Max Eisenstein grüßt ihn aus Kalifornien „wie immer herzlich.“ Doch Schulse verändert sich immer mehr. Im März 1933 teilt er noch unsicher mit: „Ich glaube, dass Hitler in einiger Hinsicht gut für Deutschland ist, aber sicher bin ich mir nicht.“ Später gibt Schulse nationale und rassistische Ressentiments wieder und an den Freund schreibt er, „dass ich Dir nicht wegen, sondern trotz Deiner Rasse gewogen bin“. Im Dezember 1933 beginnt der Deutsche seinen Brief mit „Heil Hitler“. Er überlässt Eisensteins Schwester den Männern der SA, die sie erschlagen. Die Rache des früheren Freundes in Kalifornien ist subtil, treffsicher und tödlich. Am Ende ist nichts mehr in Ordnung, die Welt nicht mehr heil. Die gestrige Aufführung von „Adressat unbekannt“ kombinierte Auszüge aus den Briefen mit zeitgenössischen Liedern, Fotos und Zitaten bekannter Menschen. Den musikalischen Part übernahmen Melanie Hirsch und die Pianistin Alexandra Ismer, den literarischen Part die beiden Sprecher Alexander Stein und Markus Hirsch. Die Schüler spendeten viel Beifall. Jürgen Lenz

Schönberg - Lehrstück über Folgen des Rassismus