Pötenitz: Ehemaliges Militärgelände birgt viele Geheimnisse

Bettina Lohff wohnt in einem geschichtsträchtigen Ort. Unweit ihres Hauses standen einst Hangars, Schießstände und Flugabwehrkanonen. Wo jetzt Wald und Wiesen sind, gab es Bunker, Eisenbahngleise und einen 275 Meter langen Steg mit Bergungskran für Wasserflugzeuge. „Hier hinten war der Appellplatz“, sagt Bettina Lohff und zeigt über ihren Gartenzaun hinweg in Richtung Süd-Südwest. Die Pötenitzerin kennt sich aus in der Geschichte des Luftzeugamtes Travemünde-Pötenitz. Über dessen spannende Historie informiert der Autor Rolf Fechner in einem neuen Buch mit Texten und zahlreichen Fotos – die meisten bisher unveröffentlicht. Der Titel seines Werks: „Luftfahrt auf dem Priwall und Pötenitz.“ Auf dem 53 Hektar großen Gelände des Luftzeugamtes (LZA) sollen ab Ende der 1930er Jahre bis zu 2000 Männer und Frauen gearbeitet haben, darunter rund 720 Zwangsarbeiter. Ihre Aufgaben: militärisches Gerät warten, umrüsten, reparieren, Teile für Flugzeuge und Flugsicherungsboote bauen und verschicken. Die eigens für das LZA zwischen Pötenitz und Dassow gebaute Luftwaffenbahn hatte Anschluss an das Netz der Reichsbahn, über das Material in ganz Deutschland verteilt werden konnte – und später bis in die Nachbarländer hinein, die das Dritte Reich im Zweiten Weltkrieg überfiel. Seltsamer Hut in Haus entdeckt: Von all dem konnte Bettina Lohff nichts wissen, als sie 1989 als junge Frau nach Pötenitz zog. Das Luftzeugamt war kein Thema in der Öffentlichkeit. Bettina Lohff fand in ihrem Haus alte Listen von Flugzeugteilen und einen seltsamen Hut. Es war ein Fliegerhut. Später bekam Bettina Lohff von ihren Großeltern eine Kiste mit Fotos. Sie sah Bilder, die viele Jahre zuvor auf dem Gelände des Luftzeugamtes aufgenommen worden waren. Lesen Sie auch: Lockwisch: Die geheimnisvolle Radarstation der Russen So verband sich die Historie Deutschlands mit der Familiengeschichte. Mittlerweile weiß Bettina Lohff: „Meine Oma war Sekretärin im Stabsgebäude, das Olymp genannt wurde.“ Dort gab es neben Büros auch ein Kino und eine Kegelbahn. Bettina Lohffs Großvater arbeitete als Soldat im Luftzeugamt. Der Urgroßvater war dort Lagerarbeiter. Bettina Lohff wohnt in einem von vielen Backsteingebäuden, die an einer Straße mit dem Namen „Siedlung“ stehen. Sie erklärt: „Es sind die einzigen erhaltenen Gebäude des Luftzeugamtes.“ Arbeiter bauten sie 1937 bis 1938. Für andere Angestellte errichteten sie Häuser in einem Teil von Dassow, den die Einheimischen ebenfalls „Siedlung“ nennen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ließ die Sowjetunion nur die Wohnhäuser stehen. Alle anderen Gebäude wurden gesprengt. Nur Reste von Ruinen sind erhalten. Rolf Fechner erfuhr 2013 vom Luftzeugamt Travemünde-Pötenitz. Er sagt: „Es gibt nur wenige Aufsätze darüber.“ Der Grevesmühlener Heimatforscher Sven Schiffner behandelte es 2001 in seinem Buch „Ruinen am Rande.“ Streng geheim im Dritten Reich: Das LZA und seine Aufgaben waren im Dritten Reich streng geheim. Zur DDR-Zeit lag das Gelände im Sperrgebiet nahe der innerdeutschen Grenze. Zuerst wusste Rolf Fechner nicht, welche Ausmaße das Luftzeugamt mit seinen 50 Gebäuden hatte. Der Travemünder begann zu forschen. Er erzählt: „Dann kommt man von einem zum anderen.“ Von 1914 bis 1945 gab es einen Flugbetrieb auf dem Priwall unweit von Pötenitz. Am 5. Juni 1945 hob die erste Maschine vom neuen Flughafengelände ab. Dort arbeiteten zunächst nur 18 Männer. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs im November 1918 waren es 189. In den 1920er Jahren stellten die Caspar-Werke auf dem Priwall Land- und Seeflugzeuge her. 1921 begann ein ziviler Luftverkehr. Er endete 1934. Danach bestimmte das Militär das Geschehen auf der Halbinsel, die zu Lübeck gehört. Bis 1945 wurden etwa 50 Flugzeugtypen und Hubschrauber erprobt. Im Mai 1945 rückten britische Truppen ein. Das Buch „Luftfahrt auf dem Priwall und Pötenitz“ ist für den gebürtigen Travemünder der sechste Bildband mit historischen Fotos aus seiner Heimat. Dankbar ist er, dass ihm Gerhard Adam viel zugearbeitet hat und er aus zahlreichen Quellen Bilder bekam – auch von Bettina Lohff. Das Buch ist im Verlag Book on Demand erschienen und kostet 20 Euro. Rolf Fechner sieht sich nicht als Historiker, sondern als Heimatforscher, der möglichst viel historisches Material vor der Vernichtung und dem Vergessen bewahren will. Er erwähnt in seinem neuen Buch auch die Nebenstelle des Luftzeugamtes in Dassow-Vorwerk. In diesem Gebäude befinden sich heute die Star-Wars-Ausstellung „Outpost One“, eine Spedition und ein Getränkemarkt. Lesen Sie auch: Neustart für Star-Wars-Ausstellung in Dassow: Der Krieg der Sterne geht weiter Rolf Fechner rät dringend davon ab, das Gelände des ehemaligen Luftzeugamtes in Pötenitz zu betreten - „wegen ungeklärter Gefahrenquellen.“ Dem stimmt Bettina Lohff zu. Sie warnt: „Es ist sehr gefährlich, durch das Gebiet zu streifen.“ Die Reste der Ruinen sind nicht gesichert. Lesen Sie auch Lockwisch: Die geheimnisvolle Radarstation der Russen Schönberger Land: Corona-Zeit fördert Lust an Handarbeiten Grenzöffnung nahe Pötenitz: „Es war für uns sehr ergreifend“ Von Jürgen Lenz