Tipp einer hundertjährigen Greifswalderin: „Nicht im Überfluss leben“

Als Ilse Günther geboren wurde, sortierte sich Nachkriegsdeutschland gerade nach den Wirren des Ersten Weltkrieges. Im Januar 1920 trat der Versailler Vertrag in Kraft, die noch junge Weimarer Republik erlebte wenig später mit dem gescheiterten Kapp-Putsch ihre erste Bewährungsprobe. Mitten in dieser spannende Zeit, am 28. Januar 1920, wurde Ilse Günther in Grevesmühlen geboren. Sie schaut auf ein glückliches Leben in mecklenburgischer Kleinstadt-Idylle zurück: zunächst in Grevesmühlen, später in Bobzin, wo ihr Vater als Mitarbeiter in einem E-Werk an der Schleuse tätig war. Entbehrungsreiche Zeiten wie andere ihrer Generation, die Ende des Zweiten Weltkrieges ihre Heimat verloren, habe sie zum Glück nicht erlebt. Gratulationspost von Prominenten: Umringt von ihrer Familie, allen voran Tochter Marianne Kasperski und deren Mann, feierte Ilse Günther mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht am Dienstag im Greifswalder Pflegeheim „Boddensegler“ ihren besonderen Ehrentag. Zu den Gratulanten gehörte auch Achim Lerm, zweiter OB-Stellvertreter, der der Hundertjährigen Grüße von Oberbürgermeister Stefan Fassbinder und ein Glückwunschschreiben von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig überbrachte. Tochter Marianne stellte das Schreiben zum Gratulationsbrief von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, den alle Hundertjährigen in Deutschland erhalten. Gratulationspost von so prominenter Stelle – das muss man erst einmal schaffen! Selbstständiges Leben – bis die Beine nicht mehr mitmachten: Ein Geheimrezept für das hohe Alter hat Ilse Günther eigentlich nicht. Nur: „Nicht im Überfluss leben“, verrät die Jubilarin. Das hohe Alter müsse aber auch in den Genen liegen, findet Tochter Marianne. Anni, jüngere Schwester von Ilse, starb im März 2019 hochbetagt mit 97 Jahren. Im Jahr 2008, sieben Jahre nach dem Tod ihres Mannes, zog Ilse Günther von Goldberg nach Greifswald in die Nähe ihrer einzigen Tochter. Dort führte sie bis 2017 in der Medigreif-Seniorenresidenz ein selbstständiges Leben, bis die Beine nicht mehr mitmachten. Regelmäßig Rummikub mit der Tochter: Auch die Erinnerungen sind mit den Jahren blasser geworden, aber das Rechnen ist noch immer das Reich der früheren Kontoristin und Sozialversicherungsangestellten. Regelmäßig spielt sie mit ihrer Tochter das Zahlenablagespiel Rummikub. Übrigens: Die oberste Stadtspitze hat inzwischen ganz gut zu tun, um all den Hundertjährigen zum Geburtstag zu gratulieren, denn innerhalb der vergangenen zehn Jahre hat sich deren Zahl nahezu verdoppelt. In diesem Jahr feiern noch elf weitere Greifswalder und Greifswalderinnen ihren runden Ehrentag, wie eine Stadtsprecherin sagte. Sieben Greifswalder sind sogar älter als 100. Die Älteste wird im Juni 107 Jahre alt. Im Jahr 2010 waren neun Einwohner der Stadt 100 Jahre oder älter. Mehr zum Thema: 100. Geburtstag in Zinnowitz: Lieselotte Niciejewski feiert mit Bowle und Musik Alles wird gut: Optimisten leben länger Deutsche unterschätzen Lebenserwartung um fast fünf Jahre Von Martina Rathke