Wandern auf den Spuren der Hanse

Wer in den vergangenen Tagen auf Feld und Flur spazieren war, ist möglicherweise einem 60 Personen starken Zug mit Kaltblütern und Planwagen begegnet. Die 60 Teilnehmer scheinen einem historischen Film entsprungen: Sie tragen mittelalterliche Gewänder und leben auch so, wie die Menschen es noch vor Hunderten von Jahren taten. Der Verein „Geschichtserlebnisraum Lübeck“ startet alle zwei Jahre zu den Lübecker Hansetagen zu seinem Hansezug, der diesmal vom Wismarer Hafen nach Lübeck führt. Ziel ist, auf die eigene Arbeit aufmerksam zu machen. Diese richtet sich an sozial benachteiligte Kinder- und Jugendliche. Menschen mit Behinderung und Menschen ohne, Menschen mit einer psychischen Erkrankung und Menschen ohne ein solches Handicap verbringen Zeit miteinander. Nicht nur einen Bauspielplatz mit vielen Tieren, Garten und Wald gibt es, sondern auch außerschulische Lernplätze und ein Langzeitprojekt, bei dem eine mittelalterliche Klosteranlage in Lübeck entsteht. „Ganz unterschiedliche Menschen teilen hier dasselbe Erlebnis und respektieren sich dabei“, erklärt Frank Thomas (44), Diplom-Sozialpädagoge und Mitbegründer von „Geschichtserlebnisraum Lübeck“ die Idee hinter Verein und Hansezug. Als Beispiel: Zwei Tage lang war am vergangenen Wochenende Andreas Gerber, Richter am Landgericht Lübeck, beim Hansezug dabei. „Für einen bestimmten Zeitraum macht er dasselbe wie der Jugendliche, der vom Landgericht bereits zu etlichen Arbeitsstunden verurteilt wurde“, sagt Frank Thomas. Er erklärt, was dieser Jugendliche beim Hansezug lernen kann: „Oft nimmt er sich an den Kindern ein Beispiel, die 20 Kilometer wandern, ohne mit der Wimper zu zucken — ganz anders als er selbst, der meist bereits nach kurzer Zeit mit dem Jammern beginnt.“ Auch die Arbeit an der frischen Luft sei ganz wichtig. Zudem gehe es um Abenteuer — und um Gefahren. „Bei der Bewältigung von Gefahren steigt das Selbstbewusstsein“, sagt Frank Thomas. Das sei für die Kinder- und Jugendlichen ebenso wichtig, wie auch einmal eine angefangene Sache zu Ende zu bringen, was vielen problembehafteten Jugendlichen schwerfalle. Gelernt haben auch die Kinder der Lila-Klasse der Evangelischen Inklusiven Schule „An der Maurine“ in Schönberg: Sie konnten am Freitag im Lager des Hansezuges in Everstorf nicht nur filzen, sondern auch Zinn gießen, Flöten bauen und mit dem Bogen auf eine Zielscheibe im Wald schießen. „Das Bogenschießen gefällt mir besonders gut — und dass alle so nett sind“, sagt Fiete Hafemeister (7) von der Schönberger Schule. Der Kontakt kam über die Tochter von Frank Thomas zustande. Ida geht auf die Schule „An der Maurine“ und so kam eines zum anderen. „Wir sind offen“, sagt mit Gudrun Geu, die Klassenlehrerin der Lila-Klasse. Idas Freundin Lillie Both, tägliche Besucherin des Bauspielplatzes, nimmt als eines von etwa 30 Kindern und zusammen mit etwa 30 Erwachsenen am Hansezug teil. Das bedeutet, dass sie am Donnerstag 20 Kilometer von Wismar bis nach Everstorf zurücklegte und auch am Sonnabend noch so manchen bis nach Kussow. „Am Besten ist, sich nach langer Wanderung auszuruhen“, so Lillie Both (6). Ida schmunzelt. Sie ging jeden Kilometer auf ihren eigenen Beinen, wurde weder von Papa Huckepack genommen noch fuhr sie auf dem Planwagen mit. Vater Frank Thomas: „Hier können die Kinder wieder ein Gefühl für Entfernungen bekommen“. Bis zum 21. Mai werden die Wanderer noch so manchen weiteren Kilometer zurücklegen. Dann ist ihre Ankunft am Zielort Lübeck vorgesehen, wo am 22. Mai die Hansetage beginnen. Diese dauern bis zum 25. Mai. Wer erfahren möchte, wie es den durchs Land ziehenden ergeht, der schaut einfach auf deren Blog zum diesjährigen Hansezug (http://hansezuege.wordpress.com/category/hansezug-2014/). Gestern kehrten die 60 Wanderer im Steinzeitdorf Kussow, einer weiteren Station des Hansezuges ein. Auch dort fanden sich einige Neugierige ein, um mit den Teilnehmern ins Gespräch zu kommen. Dana Dolata

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