„Was sollen diese Fotos. . . ?“

Schönberg — Die Ausstellung „Making of“ in Schönberg löst Begeisterung und Unverständnis bei Besuchern aus. Die OSTSEE-ZEITUNG sprach mit Annette Czerny (48), Kuratorin der Ausstellung, die den Schönberger Musiksommer begleitet. Zu sehen sind eine Videoprojektion von Leonore Kasper und Fotografien von Thomas Bär. Ostsee-Zeitung: Welche Reaktionen haben Sie auf die Ausstellung erfahren? Annette Czerny: Unmittelbare Reaktionen sehr positive. Menschen, die sich das angeschaut haben, haben gesagt, dass sie es sehr interessant finden. Die Formate der Fotos, die ja teilweise sehr klein sind, fordern dazu auf, nahe ran zu gehen, genau hinzuschauen, um etwas zu erkennen. Das ist übertragbar auf das Thema dieser Ausstellung und des Filmes: Man muss genau hinschauen, um etwas wahrzunehmen, etwas zu begreifen. Es ist dabei nichts, was einem fertig geliefert wird. Das Thema von Ausgrenzung und stereotypen Vorstellungen, die ja jeder in sich trägt, versucht dieses Ausstellungskonzept und dieser Film zu behandeln — oder sich ihm zu nähern. OZ: Gab es auch ablehnende Reaktionen? Annette Czerny: Es gab auch Reaktionen, die Unverständnis ausdrücken: ,Was sollen diese Fotos?‘, ,Was sollen sie darstellen?‘, ,Was soll das überhaupt?‘ Das Problem: Es ist keine Fotoausstellung im eigentlichen Sinne, sondern die Fotos sind eine Art Begleitdokumentation für den Weg der Filmaufnahmen, den Leonore Kasper zurückgelegt hat. Es sind kleine Momentaufnahmen vom Wegesrand und es sind Bilder von Interviews, die Leonore Kasper mit verschiedenen Vertretern der Familie Kwiek gemacht hat. OZ: Was empfehlen Sie den Besuchern? Czerny: Den Besuchern empfehle ich, sich außerhalb der Konzertzeiten in diese Ausstellung zu begeben, wenn das Interesse besteht, weil: Das Konzept der Ausstellung funktioniert nicht, wie ich selbst festgestellt habe, mit viel Publikum, mit lauten Geräuschen, mit Gesprächen. Ich habe während der Pause eines Konzertes die Videoprojektion auch nicht eingeschaltet, weil das Konzert so stark war, dass ich das Gefühl hatte, man muss jetzt in der Pause nicht noch etwas zusätzlich Visuelles und Akustisches machen. Im Gegenteil. Es würde dem Konzert eher schaden. Und die Ausstellung funktioniert eigentlich nur in einem stillen Raum. Es ist auch ein Problem des Ausstellungsraums, der sowohl als Kirchenraum, Besinnungsraum, Übungsraum und Konzertraum dienen muss. So eine Ausstellung funktioniert da nicht in allen Situationen. Sie ist ja ganz anders aufgebaut als eine Ausstellung von Gemälden, vor die man sich auch einfach mal so davorstellen kann. Man kann nicht unbedingt sofort etwas damit anfangen. Man muss sich diesem Thema nähern. Ich habe deshalb Texte mit Hilfestellungen ausgelegt, die der Besucher sich nehmen kann, um einen Zugang zu finden. Es ist ein Angebot. Man kann sich dem nähern, aber man muss sich die Mühe machen und sich Zeit nehmen dafür. Das Thema ist hoch aktuell. OZ: Warum halten Sie das Thema für schwierig, aber hoch aktuell? Czerny: Es geht um Ausgrenzung, um Klischeevorstellungen, Stereotypen, Beurteilungen, die jeder von uns in sich trägt und auch ich ertappe mich schnell dabei zu sagen: ,Das ist ja so und so‘, ohne zu hinterfragen. Dieser Film hinterfragt ständig Positionen. Er lässt die Menschen selbst zu Wort kommen — vielleicht als Versuch, von den Selbstbetrachtungen ein wenig abzukommen. Deswegen finde ich das Thema schwierig. Und hochaktuell natürlich durch den Inhalt. Es geht um eine Roma-Familie, was aber übertragbar ist auf viele andere Themen. Hochaktuell finde ich das Thema wegen dieser NPD-Plakate, die einem auch hier überall ins Auge springen und wegen der Proteste in Hellersdorf gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Das Fremdsein ist so bedrohlich für einige Menschen, dass ich der Meinung bin, dass so eine Ausstellung auch wichtig ist, um verständlich zu machen: Man kann sich einem Fremdsein nähern und man ist selbst für andere so fremd wie sie für uns fremd sind. Wir sind Fremde woanders und wir behandeln Fremdes in unserem Land feindselig, weil wir es oft nicht begreifen und auch nicht versuchen, uns dem Anderen, Unbekannten zu nähern. • Internettipp: Der Film „repräsent“ von Leonore Kasper ist abrufbar unter https://vimeo.com/71248586. Passwort: repräsent Künstlerin arbeitet international Annette Czerny wurde 1965 im thüringischen Arnstadt geboren. Seit 1999 arbeitet sie als freie Künstlerin. Dem Künstlerbund Mecklenburg und Vorpommern gehört sie seit 2009 an. Sie arbeitet und lebt in Plüschow. Bis 14. September beteiligt sich Annette Czerny an der Ausstellung „Übergang/Overgang“, die bis 29. August in der Nikolaikirche in Rostock zu sehen war und seit 1. September im dänischen Gedser besucht werden kann. „Ich werde wahrscheinlich mit Dänen weitere Ausstellungsprojekte machen“, sagt die Künstlerin. jl Opfer des Fremdenhasses 500 000 Sinti und Roma wurden während der Zeit des deutschen Faschismus ermordet. In Deutschland lebt die Volksgruppe seit 600 Jahren. Heute haben 70 000 Sinti und Roma die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie lehnen das Wort „Zigeuner“ ab, da es sich um eine Fremdbezeichnung handelt und häufig in Verbindung mit Klischees und Negativurteilen verwendet wurde. Die überwiegende Mehrheit der Sinti und Roma ist sesshaft. Offene Diskriminierung von Sinti und Roma gibt es noch heute in Osteuropa. Rechtsextremisten in Ungarn ermordeten in jüngster Vergangenheit sechs Roma, darunter ein fünfjähriger Junge und eine 43-jährige Frau. Ihre Tochter überlebte schwer verletzt. jl Interview von Jürgen Lenz

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