Deponie-Nachsorge bis 2090 verlängert

OSTSEE-ZEITUNG: 100 Tage sind Sie im Amt. Bereuen Sie es? Norbert Jacobsen: Nein. Beate Ibiß: Überhaupt nicht. OZ: Sie sind die Chefs einer der größten Sondermülldeponien Europas — und haben viele Gegner. Haben Sie sie schon getroffen? Ibiß: Bestimmt nicht alle. Jacobsen: Die Bürgerinitiative hier vor Ort kenne ich schon von früher. Sie haben ihre Meinung, wir haben unsere Meinung — und die treffen nicht immer überein. OZ: Haben Sie Lübecker getroffen? Ibiß: Wir haben uns bei unseren Nachbarn vorgestellt — in Schönberg, Selmsdorf. Auch in Lübeck. OZ: Zu Ihrem Wechsel wurde angekündigt, dass Sie „erhöhte Transparenz nach außen“ leben wollen. Wie sieht das aus? Ibiß: Wir haben vorgeschlagen, dass der Umweltausschuss oder andere Lübecker Abgeordnete hierher kommen können. Jacobsen: Wir werden im Deponiebeirat weiter konstruktiv mitarbeiten. Wenn Daten abgefordert werden, werden wir sie preisgeben — wenn sie nicht betriebliche Geheimnisse betreffen. Ibiß: Wir werden unsere Website erneuern. Da werden wir mehr Informationen für die Öffentlichkeit bereitstellen. Das ist noch zu wenig. OZ: Heißt, Selmsdorfer und Lübecker werden nicht mehr von erhöhten Tritiumwerten aus der Vergangenheit überrascht — wie im Mai, als Werte aus 2011 bekannt wurden? Jacobsen: Das hoffe ich. Wobei diese Nachricht 2015 keine Überraschung war, denn die Werte aus 2011 waren schon 2013 ein Thema. Damals sind auch wir von den Werten überrascht worden. Wir haben sie selbst erst auf Nachfrage aus dem Monitoringprogramm des Bundes erhalten. OZ: Kennen Sie die Quelle mittlerweile? Die Reste aus dem Kernkraftwerk Lubmin werden verdächtigt. Jacobsen: Das wurde von der Bürgerinitiative immer angeführt. Allerdings müssten dann noch weitere Stoffe enthalten sein, sind sie aber nicht. Insofern ist es unwahrscheinlich, dass die Tritiumwerte daher stammen. Wir haben Informationen, dass es aus der Leuchtzifferherstellung kommen kann. Solche Materialien sind in der Vergangenheit hier abgelagert worden. OZ: Nimmt die Deponie weiteres freigemessenes Material aus deutschen Atomkraftwerken auf, die jetzt abgerissen werden sollen? Ibiß: Klare Aussage: Das nehmen wir nicht an. OZ: Warum nicht? Jacobsen: Die Umweltminister haben sich darauf verständigt, dass die freigemessenen Abfälle in den jeweiligen Bundesländern entsorgt werden. OZ: In Mecklenburg-Vorpommern gibt es nur das Kernkraftwerk Lubmin im Rückbau. Aber hat der Kieler Umweltminister Habeck schon bei Ihnen angefragt, ob sie die Materialien aus Brokdorf oder Krümmel bei sich aufnehmen? Ibiß: Wir haben keine konkrete Anfrage. Wir haben auch kein Interesse in diesen Markt vorzudringen. OZ: Das können Sie sich leisten? Ibiß: Es geht dabei um relativ wenig Tonnen. Zudem ist unser Geschäftszweck die Entsorgung von Sondermüll — sowie die Rekultivierung und Nachsorge der Deponie. Jacobsen: Bei einem Kernkraftwerk gibt es etwa fünf Prozent freigemessene Abfälle, 95 Prozent sind normale Bauabfälle. OZ: Und die normalen Abfälle wollen Sie auch nicht? Ibiß: Das sind keine Abfälle für eine Deponie, die Sonderabfall aufnimmt. Sie kostet pro Quadratmeter einen bestimmten Betrag unter anderem für Nachsorge. Billigen Bauschutt, der nicht kontaminiert ist, auf einen teuren Quadratmeter Deponiefläche bringen, ist betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll. OZ: 2035 soll die Deponie dicht machen. Bleibt es dabei? Ibiß: Der konkrete Termin steht noch nicht fest. Es könnte beispielsweise auch 2033 sein. Das wird durch Gutachter festgestellt und hängt auch mit den freien Kapazitäten der Deponie zusammen. Wir haben die Zeit der Nachsorge auf Grund eines Gutachtens verlängert — von 2070 auf 2090. Durch den längeren Zeitraum soll sicher gestellt werden, dass nicht der Steuerzahler am Ende die Nachsorge bezahlt, sondern die Deponie dieses Geld zuvor selbst erwirtschaftet. OZ: Wie viel Geld brauchen Sie für die Nachsorge der Deponie? Jacobsen: Das aktuelle Gutachten hat ergeben, dass wir für den verlängerten Zeitraum der Nachsorge bis 2090 mehr Geld brauchen. Statt 760 Millionen Euro inklusive Inflationsrate nun 995 Millionen Euro inklusive Inflationsrate. Ibiß: Das heißt aber nicht, dass wir so viel Geld bis 2035 zurückstellen müssen. Denn wir geben ja bereits jetzt Geld für die Nachsorge aus und müssen auch die Zinsentwicklung betrachten. Stand Ende 2014 betrugen unsere liquiden Mittel 325 Millionen Euro. Das sind 90 Millionen mehr als wir zu diesem Zeitpunkt als Rückstellung für die Nachsorge bräuchten. Damit berücksichtigen wir auch die Risiken der Zukunft. OZ: Wie viel Geld brauchen Sie bis 2035? Ibiß: Das wird aktuell durch einen Gutachter errechnet. OZ: Die Bilanz 2014 verzeichnet ein Minus, hat Ihr Vorgänger erklärt. Wie sieht es jetzt aus? Ibiß: Das operative Geschäft ist 2014 im Plus und die Tendenz für 2015 sieht gut aus. Wir nehmen mehr ein, als wir ausgeben. Weil wir aber viel Geld zurückstellen müssen und niedrige Zinsen haben, hatten wir 2014 ein bilanzielles — ein rechnerisches — Minus. Das wird 2015 auch der Fall sein. Die Zinsentwicklung können wir nicht beeinflussen. Aber unser operatives Geschäft schon. OZ: Dann müssen Sie Gas geben, damit bis 2035 mehr Geld reinkommt für die längere Nachsorge bis 2090. Brauchen Sie mehr Müll? Ibiß: Nein, wir können beispielsweise Preise anheben. Das diskutieren wir. Es geht um eine Erhöhung im einstelligen Prozentbereich. Jacobsen: Unser zweites Standbein für Einnahmen ist aber die Nachnutzung der Deponie. OZ: Ihr Vorgänger wollte Windräder, Solaranlage, Pumpspeicherwerk. Die Windräder sind passé, was ist mit den anderen Ideen? Jacobsen: Solaranlagen sind nach wie vor in der Planung. Statt des sehr anspruchsvollen Pumpspeicherwerks favorisieren wir derzeit eher andere Energiespeicher. Ibiß: Auch das geplante Gewerbegebiet gehört zur Nachnutzung. OZ: Wissen Sie schon wer sich da ansiedeln soll? Und wann? Ibiß: Wir wissen noch nicht, was da hinkommt, haben keine konkrete Firma. Unser Wunsch wären Recyclingbetriebe. Jacobsen: Wenn wir 2017 beginnen könnten, dann wäre das früh. Interview: Josephine V. Zastrow

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