Wolf oder Hund: Autofahrer filmt großes Raubtier in Nordwestmecklenburg

Südlich von Wismar, zwischen Jesendorf und Ventschow, hat ein Autofahrer ein flüchtendes Raubtier gefilmt. So jedenfalls lautete die Nachricht in den sozialen Netzwerken in Nordwestmecklenburg in den vergangenen Tagen kursierte. Seitdem sorgt der wenige Sekunden lange Streifen für heftige Debatten um das Thema Wolf. Inzwischen steht allerdings fest, das Video stammt mitnichten aus der Region. Tatsächlich zeigt es eine Szene, die im Jerichower Land in Sachsen Anhalt gefilmt worden war – und zwar im Jahr 2016. Diverse Medienberichte haben sich mittlerweile mit dem Film beschäftigt, der immer wieder auftaucht und die Diskussionen anfacht. Experte Benjamin Thienel, einer von drei Wolfsbeauftragten aus Nordwestmecklenburg, hat das Video ebenfalls gesehen. Unabhängig von der Herkunft des Films und dem Ort des Geschehens geht er nicht davon aus, dass es sich bei dem gefilmten Tier tatsächlich um einen Wolf handelt. „Die Rute ist aus meiner Sicht ein deutliches Zeichen, dass es kein Wolf sein kann“, sagt der 48-Jährige. „Auch das Verhalten spricht dagegen.“ Möglicherweise sei es ein Wolfshund. Keine einfache Arbeit: Der Experte weiß, wovon er spricht. Er hat in seiner Laufbahn bereits etliche Rissgutachten von möglichen Wolfsattacken angefertigt, unter anderem war und ist er in der Lübtheener Heide aktiv, wenn dort Fälle von gerissenen Nutz- oder Wildtieren entdeckt und Wölfe als Ursache vermutet werden. Dann geht es darum, so schnell wie möglich die Spuren auszuwerten. „Das Zeitfenster, um eine wirklich eindeutige DNA-Analyse anzufertigen, ist sehr klein und erstreckt sich nur über ein paar Stunden. Das macht die Arbeit nicht gerade einfach.“ Denn eine wirklich stichhaltige Analyse lasse sich nur über das Erbgut anfertigen. Benjamin Thienel ist nicht nur Experte in Sachen Wolf, er vertritt auch eine Meinung, die nicht unbedingt auf große Zustimmung in der Bevölkerung und vor allem der Jägerschaft trifft. „Der Wolf war vor uns schon lange da, er wurde vor vielen Jahren ausgerottet, inzwischen hat er sich wieder angesiedelt. Und ich bin fest davon überzeugt, dass er heute auch hierher gehört.“ Hauptrichtung der Wölfe ist Nordwesten: Das Tier stehe unter Schutz, damit habe der Wolf auch wieder die Chance, sich anzusiedeln. „Und die hat er genutzt, und er nutzt sie auch weiter.“ Die Wölfe, die in Mecklenburg und auch immer wieder in Nordwestmecklenburg für Diskussionen sorgen, sind laut Benjamin Thienel über Polen in die hiesigen Wälder gelangt. „Was auch immer sie dazu treibt, aber die Tiere, die aus Richtung Osten kommen, wandern an Berlin vorbei nach Norden und gelangen so bis zu uns und dann weiter in Richtung Süden und Westen.“ Argumente der Jäger lässt er nicht gelten: Vorrangiges Ziel der Wölfe sind Reviere, in denen es genügend Schalenwild, also Reh- und Rotwild sowie Wildschweine, gibt. „Die Lübtheener Heide ist so ein Gebiet, der Wolf hat auch die Brände im Sommer gut überstanden. Aber dort findet er große Waldgebiete und genügend Nahrung.“ Das Hauptargument der Jägerschaft, dass Wölfe die übrigen Tiere wie Reh-, Rot- und Schwarzwild vertreiben würden, lässt er nicht gelten. „Die Erfahrung zeigt, dass der Wolf etwa 30 Prozent des vorhandenen Schalenwilds reißt, mehr aber auch nicht. Er geht auch nicht immer das gleiche Rudel an, weil die Tiere natürlich auch lernen.“ Und Wölfe würden sich auch nicht, wie Kritiker behaupten, unkontrolliert vermehren.“ Die Population richte sich nach der Nahrung. „Das Rudel wächst nicht, wenn es nicht genügend Nahrung gibt.“ Der Wolf gehört ins Jagdrecht: Der 48-Jährige plädiert dafür, den Wolf in das Jagdrecht aufzunehmen. So wie es in Sachsen bereits geschehen ist. „Das vereinfacht viele Dinge. Denn ohne die Aufnahme ins Jagdrecht braucht es umständliche Verfahren, um beispielsweise einen Problemwolf zu entnehmen.“ Zudem würden jährliche Jagdzeiten dazu führen, dass der Wolf den Menschen dauerhaft meiden würde. „Er muss die Scheu vor dem Menschen behalten.“ Statistiken haben ergeben, dass rund 80 Prozent der Beute der Wölfe in der Lübtheener Heide Rehwild ist, dass krank oder zu alt ist. Der Wolf reguliert den Wildbestand, in dem er jene Tiere reißt, die nicht stark genug sind, um allein dauerhaft zu überleben. In Nordwestmecklenburg, konkret im Klützer Winkel nahe des Dassower Sees gibt es einen Bestand an Muffelwild, der rund 150 Tiere umfasst. Sie sind nicht heimisch und wurden vor mehreren Jahrzehnten ausgesetzt. Würden sich Wölfe in der Region ansiedeln, wären die Muffel die Beute der Wölfe. Hintergrund: Weil Muffelwild steiniges Gelände im Gebirge benötigt, sind knapp 30 Prozent der Tiere, die im Klützer Winkel leben, an den Hufen erkrankt. Sie würde der Wolf reißen, da sie nicht fliehen können. Wie Benjamin Thienel betont, müsse es einfache und nachvollziehbare Verfahren geben, um den Bestand zu regulieren. Situationen, wie sie auf einigen Truppenübungsplätzen vorkamen, wo Wölfe gefüttert wurden und sich an die Menschen gewöhnten, dürfe es nicht geben.“ Und noch etwas braucht es nach Ansicht des Experten: „Unkomplizierte Verfahren nach Rissen von Nutztieren.“ Oftmals sei es für die Halter von Nutztieren aufwendig und schwierig, den Nachweise zu erbringen, dass Wölfe für die Schäden verantwortlich gewesen seien. „Diese Verfahren müssen vereinfacht und den Menschen Möglichkeiten gegeben werden, ihre Tiere zu schützen. Dann werden sie auch den Wolf akzeptieren.“ Jagdneid der Jäger spielt eine große Rolle: Dass er mit seiner Meinung pro Wolf polarisiert, vor allem in der Jägerschaft, ist dem Grevesmühlener durchaus bewusst. Der Jagdneid der Jäger spiele eine große Rolle. Aber wer, so Thienel, den Wolf akzeptieren könne, der werde auch begreifen, welchen Gewinn das Tier für die Kulturlandschaft in Deutschland am Ende bedeute. „Natürlich weiß ich, dass es illegale Abschüsse von Wölfen auch in unserer Region gibt. Und trotzdem hat der Wolf sich durchgesetzt. Das zeigt doch, dass das Tier nach Deutschland gehört.“ Ob Nordwestmecklenburg irgendwann ein Rudel Wölfe haben wird, das kann auch der Fachmann nicht sagen. „Die einzelnen Waldgebiete sind zu klein, das stimmt natürlich. Aber wer sagt denn, dass es nicht irgendwann ein Rudel geben wird, dass durch die Region zieht. Ich glaube, dass der Lebensraum dafür ausreicht.“ Und das Argument, dass der Platz in einer dicht besiedelten Region wie Deutschland einfach nicht ausreichen würde, um den Wolf neben dem Menschen leben zu lassen? „Das regelt sich, so meine ich, von ganz allein. Denn der Wolf braucht einen bestimmten Radius, wenn nicht genügend Nahrung vorhanden ist, wird er sich auch nicht in dem Maße vermehren und ansiedeln wie es zum Beispiel in Sachsen der Fall ist.“ Lesen Sie auch: Wolf bei Rostock Der Herrnburger Wolf und der Aufruf der Behörden. Land lässt Abschuss prüfen. Schafe bei Ludwigslust getötet. Von Michael Prochnow