Abschied vom Haus voller Geschichte

„Wir gehen mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, sagt Holger Genkel (55), Abteilungsleiter Sportakrobatik beim SV Warnemünde, gestern beim allerletzten Training seiner Sektion im „Haus des Sports“. Das lachende Auge freut sich auf die neue Sporthalle in der Parkstraße, die nun hoffentlich bald als neue Trainingsstätte übergeben wird. „Andererseits fällt der Abschied schwer“, gesteht der heutige Trainer. „Seit 47 Jahren komme ich in diese Halle, habe hier selbst seit dem achten Lebensjahr trainiert, und bin nun schon seit Jahrzehnten Übungsleiter und Trainer.“ Knapp 60 Mädchen wuselten gestern noch einmal über die dicke Filzmatte der Halle, übten Spagat, bewegten sich mit Tanzschritten, bauten Pyramiden und Figuren, schlugen Räder, stolperten auch mal und lachten wieder. Kaum vorstellbar: Die Halle ist nicht größer als ein Volleyballfeld. Doch wenn auch gestern die Sonne durch die Dachfenster schien und den uralten Anstrich der Wände noch einmal zum Leuchten brachte — das helle Licht zeigte ebenso deutlich, wie durchnässt die Betonkonstruktion ist, wo überall der Putz von den Wänden bröckelt. Das „Haus des Sports“ ist alt. Der Warnemünder Erich Paul (80) trainierte hier schon 1954, damals noch als Fußballer im Wintertraining. „Irgendwann hatte ich genug vom Fußball“, erzählt er. „Und mit sechs Mann, drei Ringer waren dabei, haben wir die erste Sportakrobatik-Gruppe aufgebaut.“ Seitdem lebt Erich Paul für diese Sportart, war mehrfacher Deutscher Meister. Seit 1960 ist er Trainer. Von 1966 bis 1990 trainierte er sogar die DDR-Nationalmannschaft, war danach noch einige Jahre Wettkampfrichter bei großen internationalen Wettbewerben. Noch immer arbeitet er zweimal pro Woche als Übungsleiter und denkt gar nicht ans Aufhören. „Das ist wirklich ein Haus voller Geschichte“, erzählt er. Es sei wohl um 1880 gebaut worden, war zuerst Gaststätte und Tanzlokal. „Ende der 1930er Jahre trafen sich hier die Nazis“, erzählt Paul. Wohl deshalb sei das Haus nach dem Krieg an die Stadt gefallen — die dort 1954 das „Haus des Sports“ eröffnete. Viele Talente brachte das Haus hervor: Boxer, Ringer, Volleyballer — und natürlich Sportakrobaten. Zu den jüngsten gehört Marie Herbrich (14). Schon als Elfjährige nahm sie mit ihrem Partner Hermann Krieg an einem internationalen Nachwuchswettbewerb in Puerto Rico teil. Sie wurden Zweite. „Ein toller Sport“, findet Marie. „Tanz, Turnen, Kraft und Körperbeherrschung — alles kommt zusammen.“ Nachwuchssorgen haben die Warnemünder Sportakrobaten nicht. „Im Gegenteil“, sagt Cheftrainer Genkel. „Wir konnten ja aufgrund der Enge hier in der Halle kaum noch Kinder aufnehmen.“ Was aus dem maroden „Haus des Sports“ wird, steht derzeit noch in den Sternen. „Wir bereiten den Verkauf des Gebäudes vor“, sagt Christian Janssen vom Kommunalen Eigenbetrieb Objektbewirtschaftung (KOE). Der Verkauf könne auch erst über die Bühne gehen, wenn die Sportler ihre neue Halle in der Parkstraße nutzen können. „Wir sind zuversichtlich, dass dies im September möglich sein wird“, hofft Janssen. Klaus Walter

Warnemünde - Abschied vom Haus voller Geschichte