Auf den Ball hören: So funktioniert Blindentennis in MV

Christiane Kaplan hebt den Tennisschläger und macht sich bereit zum Aufschlag. „Nimm die Hand ein bisschen höher“, ruft ihr Trainer Hanning Diederich zu. „Mit den Füßen machst du das schon super, aber achte auf deine Armhaltung.“ Die 44-Jährige holt aus und schlägt den Ball weit über das Netz. Sie schüttelt den Kopf. „Der war im Aus. Das konnte ich hören.“ Von Geburt an ist die Rostockerin blind. „Ich kenne das gar nicht anders“, sagt die leidenschaftliche Tennisspielerin. „Seit es Tennis für Blinde in Deutschland gibt, spiele ich auch.“ Fühlbare Markierungen, hörbarer Ball: Zwischen Tennis für Blinde und Tennis für Sehende gibt es zahlreiche Unterschiede, wie der Trainer erklärt. „Da kann man nichts eins zu eins übernehmen“, sagt er und zeigt auf die Spielfeldränder, die mit einem Klettband abgeklebt sind. „Der Platz ist verkürzt, die Markierungen sind für die Orientierung haptisch spürbar.“ Das Netz hängt tiefer als beim herkömmlichen Tennis, auch der Ball unterscheidet sich stark. „Er ist größer, besteht aus Schaumstoff und hat eine Kugel mit Metallspänen im Inneren“, sagt der Trainer und raschelt mit dem Ball. „Die lassen das Teil ziemlich laut klingen.“ Drei Aufpraller stehen den Spielern zu, bevor sie den Ball über das Netz spielen müssen. „Beim ersten Aufprall weiß ich, wo der Ball ungefähr ist“, erklärt Kaplan. „Den zweiten nutze ich, um die Geschwindigkeit und Richtung einschätzen zu können. Der dritte muss das bestätigen, was ich mir denke, und dann muss ich schlagen.“ Gründerin des einzigen Standortes in MV: 1989 hat Kaplan das erste Tennismatch im Fernsehen verfolgt. „Das hat mich total fasziniert“, sagt sie. 2012 fand die junge Frau dann heraus, dass es auch für Sehbehinderte die Möglichkeit gibt, diesen Sport auszuüben. „Blindentennis wurde in Japan erfunden und unter anderem in England gespielt“, sagt sie. 2016 wurde schließlich der erste Workshop für Behinderte im Tennis in Köln angeboten. „Da habe ich dann ein Wochenende lang Eindrücke vom Sport bekommen – wie fühlt sich ein Schläger an, wie fühlt und hört sich ein Ball an?“, erklärt Kaplan. „Ich bin mit dem Wunsch zurück nach Rostock, auch hier bald spielen zu können.“ Schnell fand Kaplan weitere Mitstreiter für den ersten Blindentennis-Standort in MV. „Ein Bekannter von mir, Robert Jaurich, hat ein unfassbar gutes Gehör. Den konnte ich überzeugen, mitzumachen“, sagt sie und lacht. „Und mein Mann Pavel musste mit.“ Zusammenarbeit mit Tennisakademie: Mit der Tennisakademie Timmermann in Schmarl fand sie schnell einen Partner. Zweimal in der Woche trainiert Kaplan mit Tennistrainer Hanning Diederich. „Wir sind ein gutes Team“, sagt sie. „Er musste sich auch erst einmal herantasten. Ich sehe gar nichts, das kann man sich vorstellen. Mein Mann sieht noch ein bisschen. Da muss der Coach auch erstmal gucken, was möglich ist.“ Diederich ist voller Lob. „Christiane ist voller Lebensfreude. Die Trainingsstunden mit ihr machen viel Spaß“, sagt er. „Sie hat ein sehr gutes visuelles Vorstellungsvermögen. Das ist unglaublich.“ Für Christiane Kaplan schließt eine Blindheit das nicht aus. „Ich stelle mir den Platz wahrscheinlich genauso vor, wie ihn Sehende sehen“, sagt sie. „Ich stelle mir die Linien im Kopf vor, habe das Rechteck des Feldes vor meinen Augen.“ Vielseitig engagiert: Die Rostockerin wünscht sich, dass Blindentennis an Bedeutung gewinnt. „Wir brauchen mehr Standorte und mehr Turniere“, sagt die Halbfinalisten des ersten internationalen Tennisturniers, das 2017 in Spanien stattfand. „Außerdem brauchen wir mehr Unterstützung, damit wir unseren Sport auch finanzieren können.“ Verbesserungsbedarf gebe es auch bei der Organisation der Turniere. „Wer als Blinder in eine fremde Region kommt, muss sich erst mal zurechtfinden. Wir müssen sicherstellen, dass die Sportler Assistenz bekommen.“ Kaplan ist internationale Sprecherin für Blindentennis in Deutschland und vertritt deutsche Interessen international. Außerdem engagiert sie sich im Exekutivkomitee vom Vorstand der internationalen Blindenvereinigung. Als großer Irland-Fan ist sie zudem im irischen Blindentennis involviert. „Das ist mein Traumland“, sagt sie und lacht. „Ich reise allgemein viel und habe wahrscheinlich schon mehr von der Welt gesehen, als viele andere.“ Weitere Mitstreiter gesucht: Die Sportlerin hofft auf weitere Mitstreiter in MV. „Wir haben mittlerweile die Infrastruktur, auch Trainer außerhalb von Rostock zu finden“, sagt sie. „Wenn beispielsweise jemand aus Greifswald Blindentennis spielen möchte, finden wir da eine Lösung.“ Lesen Sie auch: Häusliche Gewalt in Rostock: Wenn ein 90-Jähriger auf seine Ehefrau losgeht Rostock: Wasserschaden bei Norma in Reutershagen Neuer Schuldenberg wegen Corona: Was sich Rostock trotzdem leisten will Kein historischer Weihnachtsmarkt in Rostock: Was die Gaukler in diesem Dezember machen Von Katharina Ahlers