Coronavirus in China: Ein Rostocker berichtet über sein Leben aus Tianjin

Eine ganz gewöhnliche Erkältung – in normalen Zeiten eigentlich kein Problem. Doch wegen der Corona-Panik löste die Schniefnase von Dirk Seggert gleich Alarmstufe Rot aus: Der Rostocker lebt und arbeitet im chinesischen Tianjin. Etwa 300 Corona-Fälle gibt es in der 14-Millionen-Stadt nahe Peking, mehrere Infizierte sind bereits gestorben. Auch Seggert musste 14 Tage in Quarantäne, doch am Ende war es nur ein grippaler Infekt. „Aber man macht sich schon Sorgen“, sagt Seggert im Telefongespräch mit der OZ. 14 Tage zu Hause: Der 44-Jährige ist Monteur im Audi-Werk in Tianjin, wo das deutsch-chinesische Gemeinschaftsunternehmen FAW-Volkswagen SUVs bauen lässt. Die Quarantäne bei Corona-Verdachtsfällen habe sein Arbeitgeber angeordnet, erklärt Seggert: „Man muss 14 Tage zu Hause bleiben, darf aber zum Einkaufen vor die Tür.“ Nach einer Woche wurde er noch einmal untersucht, nach zwei Wochen konnte er weiterarbeiten. Mehr lesen: 14 neue Coronavirus-Verdachtsfälle in Rostock: Das haben die Tests ergeben Seggerts Arbeitsplatz hat sich – wie so vieles in China – in eine Hochsicherheitszone verwandelt. „Auf dem Weg zur Arbeit und im Werk müssen wir ständig Mundschutz tragen.“ Überall kontrollieren Wachleute, ob die Vorschriften eingehalten werden. „Wer dagegen verstößt, bekommt Ärger.“ Dann drohen ein bis zwei Tage Zwangsurlaub. Auch geraucht werden darf im Werk nicht mehr, nur noch vor der Tür. „Und wir dürfen uns nicht die Hand geben, müssen immer 1,50 Meter Abstand halten.“ An jedem Tisch nur ein Gast: Diese Abstandsregel gilt überall in der Stadt und führt teilweise zu absurden Situationen, erklärt Seggert: „Alle Restaurants haben geschlossen. Nur eins hat nach vier Wochen wieder geöffnet. An jedem Tisch darf aber nur eine Person sitzen, damit der vorgeschriebene Abstand eingehalten wird.“ Das gesamte öffentliche Leben in Tianjin ist wegen Corona auf Sparflamme: „Es ist beklemmend, wenn man vergleicht, wie voll die Straßen vorher waren und wie leer sie jetzt sind.“ Alle kleinen Geschäfte haben geschlossen, in den großen wird kein Bargeld mehr akzeptiert – die Scheine könnten ja verkeimt sein. Ausgehen ist praktisch unmöglich, denn auch Bars und Kinos sind dicht. Nur wenige Taxis fahren. App überwacht Reisetätigkeit: Am strengsten sind die Sicherheitsmaßnahmen an den Krankenhäusern. „An den Eingängen stehen Männer in Schutzanzügen, die jeden kontrollieren. Wer Fieber hat, darf nicht rein“, beschreibt Seggert. „Jeder muss eine App auf seinem Handy haben, die anzeigt, wo man in den vergangenen 14 Tagen war.“ Und wer im etwa 1000 Kilometer entfernten Wuhan oder anderen Corona-Gebieten war, wird ebenfalls abgewiesen. „Unser Arbeitgeber hat uns angeboten, uns nach Hause zu holen“, sagt Seggert. Er hat das Angebot bisher angelehnt: „Das Risiko, mich auf dem Flughafen oder im Flieger anzustecken, ist größer, als hier krank zu werden.“ Sollte es in Tianjin doch noch kritisch werden, könnte er sich für eine Weile in seiner Wohnung abschirmen: „Ich habe Vorräte für etwa drei Wochen.“ Vorräte für Quarantäne in Rostock: In China scheint die Ausbreitung der Epidemie allerdings verlangsamt: Erstmals wurden in dieser Woche mehr neue Fälle in anderen Ländern als im Ursprungsland von Corona gezählt. Rund 80 000 Infektionen sind inzwischen weltweit nachgewiesen. Fast 3000 Menschen starben an den Folgen. Im April will Seggert dann aber doch zurück nach Rostock. Dort wohnt auch seine Mutter. Die will er vorher bitten, ausreichend Lebensmittel in seiner Wohnung zu deponieren, denn er wird voraussichtlich 14 Tage lang zur Sicherheit zu Hause bleiben müssen. „Und daran werde ich mich auch halten. Nach dem, was ich hier erlebt habe, würde ich mir nie verzeihen, wenn ich Verwandte oder Freunde anstecken würde.“ Lesen Sie auch: Helios richtet Corona-Station im Stralsunder Krankenhaus West ein Das würde der Landkreis Vorpommern-Rügen im Corona-Ernstfall tun Corona: Wann das Virus nach MV kommt und warum Abriegeln wenig hilft Greifswalder Corona-Experte spricht Klartext: „Atemmasken bringen nichts“ Hamsterkäufe wegen Coronavirus: So reagieren Kunden in MV Kita- und Schulschließungen wegen Coronavirus: Was Eltern jetzt wissen müssen Lagerkoller wegen des Coronavirus? Was Quarantäne mit Menschen macht Von Axel Büssem