Hebammenwissenschaften neu an Unis in MV: „Studien helfen Frauen bei Geburt nicht weiter“

Die Überraschung war groß bei Kathrin Herold, als sie die Nachricht ereilte. Zum Wintersemester 2020/21 können angehende Geburtshelfer auch in MV Hebammenwissenschaften studieren. Gleich zwei Hochschulen richten den Bachelor-Studiengang ein: die Universität Rostock und die Fachhochschule des Mittelstands (FHM). „Erst bietet niemand einen Studiengang an, jetzt sind es sogar zwei“, sagt die Vorsitzende des Hebammenverbandes MV, Kathrin Herold, die sich sehr über die Akademisierung der Ausbildung ihres Berufsstandes freut. Denn auch die Ansprüche und Anforderungen an Hebammen seien in den vergangenen Jahren stark gestiegen, so die Verbandsvorsitzende. Laut Herold arbeiten rund 280 Hebammen in MV. Eine exakte Zahl existiert allerdings nicht. „Das aber möchte das Wirtschaftsministerium nun ändern und ermittelt aktuell dazu anhand von Umfragen die Zahlen“, erklärt die 41-Jährige. Viel Zeit verstrichen bis zur Umsetzung: Eine von den rund 280 Hebammen ist die Rostockerin Claudia Süpner. Sie findet es von der Universität Rostock sehr ambitioniert, den Studiengang so schnell anzubieten und umzusetzen. „Es ist kurz vor der Angst. Es wurde der letztmögliche Termin gewählt, um die EU-Richtlinie umzusetzen“, sagt die 49-Jährige. Erst im September 2019 ist das Hebammenreformgesetz von der Bundesregierung verabschiedet worden, obwohl eine EU-Richtlinie die Akademisierung für die Hebammenausbildung schon seit 2005 fordert. Deutschland ist damit das letzte EU-Land, das der Umsetzung nachkommt und Mecklenburg-Vorpommern sogar das letzte Bundesland, das einen Studiengang errichtet. In Berlin existiert der Studiengang seit dem Wintersemester 2013/14, in Nordrhein-Westfalen sogar seit 2010. Heike Weihe aus Stralsund findet gut, dass nach langen Jahren auch hierzulande der Beruf der Hebamme akademisiert wird. „Vor allem für unsere jungen Kollegen begrüße ich das sehr. Nun können sie auch international arbeiten. Damit sind sie vergleichbar“, erklärt die 55-Jährige, die seit 1983 Neugeborene auf die Welt holt. Geht womöglich das Handwerk verloren? Claudia Süpner befürchtet hingegen, dass das praktische Wissen verloren gehen könnte. Denn der Beruf ist ein Handwerksberuf, findet sie. „Es geht weniger um die Studien dabei. Das hilft einer Frau bei der Geburt nicht weiter“, sagt Süpner, die seit 15 Jahren Kindern dabei hilft, das Licht der Welt zu erblicken. Was ihr im Studiengang wichtig wäre, ist, das medizinische Englisch zu fördern, weil immer mehr englischsprachige Frauen bei der Schwangerschaft betreut werden: „Ich begleite viele Doktoranden oder Studenten. Das sind Inder, Chinesen, Engländer und Amerikanerinnen.“ Den Bedarf an Hebammen im Land sicherstellen, darum geht es Sylvia Waterstradt. „Bereits seit zwei Jahren bemühen wir uns um einen Studiengang“, sagt Waterstradt. Waterstradt ist Pflegedirektorin im Rostocker Südstadtklinikum. Bundesweiter Notstand im Kreißsaal: Dass es bundesweit einen Mangel an Geburtshelfern gibt, weiß auch Franziska Rüst. Sie ist seit 2015 freiberuflich als Hebamme rund um Rostock tätig. Durch das Studium erfahre der Beruf zwar mehr gesellschaftliche Anerkennung, doch ob wirklich der Bedarf an Hebammen gedeckt werde, da ist sie unsicher: „Wenn Mädchen nur die mittlere Reife haben, könnte ich mir vorstellen, dass sie sich eben weniger für das Studium entscheiden, weil sie leider nicht die Zugangsvoraussetzungen erfüllen. Das könnte dann ins Gegenteil umschlagen“, befürchtet die 36-Jährige. Positiv hebt sie den Zugang zu Forschung und Lehre und die guten Weiterbildungsmöglichkeiten hervor, wenn man sich anschließend für einen Master entscheidet. Sieben Semester Studium: Bis 2022 wird es eine Übergangsfrist geben. „Die Schülerinnen, die ihre dreijährige Ausbildung bereits begonnen haben, schließen diese normal ab“, sagt Sylvia Waterstradt. Ab 2022 wird es nur noch das duale Studium mit Praxisteilen geben. Nach sieben Semestern tragen die Studenten den Titel Hebamme. Es handelt sich um ein Studium mit hohem Praxisanteil. Die praktischen Inhalte absolvieren die Studenten in Ausbildungsbetrieben – da kommen die Südstadtklinik in Rostock oder ein anderes geburtsklinikführendes Krankenhaus in MV infrage sowie freiberufliche Hebammen in außerklinischer Tätigkeit. Expertin fordert Kooperation mit Hebammen: Enttäuscht zeigt sich Kathrin Herold darüber, dass die Universität Rostock bis dato weder eine Kooperation mit den niedergelassenen Hebammen noch mit dem Berufsverband eingegangen ist. Die freiberuflichen Hebammen müssten in Weiterbildungen zum Praxisanleiter, so wie es das Hebammenreformgesetz fordert, ausgebildet werden. In Rostock gibt es lediglich drei, die außerklinische Geburtshilfe leisten. Dort lernen die Studentinnen Schwangerenbetreuung, Haus- und Praxisgeburten durchzuführen und Hilfe im Wochenbett. Für das Studium an der Uni Rostock erhalten die Hebammen-Studenten eine Ausbildungsvergütung und zahlen lediglich die Semestergebühren. Nicht nur die Uni Rostock bietet das Studium an, auch die private Fachhochschule des Mittelstands (FHM). Die monatlichen Studiengebühren belaufen sich dort auf 440 Euro. Aktuell befindet sich der geplante Studiengang noch in der Akkreditierung beim Bildungsministerium in Nordrhein-Westfalen, weil der Hauptstandort der FHM in Bielefeld ist. „Ich bin optimistisch, dass der Bachelor-Studiengang genehmigt wird“, sagt Hebammenverbandsvorsitzende Kathrin Herold. Lesen Sie auch: Wismarer Hebammen berichten im Hörsaal über ihre Arbeit Aus nach neun Jahren: Rostocks Geburtshaus schließt „Wellcome“ hilft nach der Geburt: Drillingsmama aus Rostock ist froh über Unterstützung Von Luisa Schröder