Rentnerin (68) über Höhe der Rentenbesteuerung schockiert

Auf ihrem Wohnzimmertisch liegen zwei dicke Ordner. In einem ist auch der Einkommensteuerbescheid für 2019 säuberlich abgeheftet. „Als ich ihn vor einigen Wochen erhielt, war ich fassungslos“, erklärt Karin Wilde – sollte die Rentnerin aus Sievershagen (Landkreis Rostock), deren Mann vor fünf Jahren starb, doch eine Nachzahlung von fast 1700 Euro leisten. Gleichzeitig werden Vorauszahlungen von gut 400 Euro – jeweils pro Quartal – für 2021 fällig. „Eigentlich bin mit meiner Rente sehr zufrieden, doch diese erneute Besteuerung finde ich ungerecht. Zumal auf dem Rentenbescheid diese nicht vermerkt ist“, erklärt die gelernte Krankenschwester. Mutter zweier Kinder und 47 Arbeitsjahre: Laut Rentenatlas lagen 2019 die durchschnittlichen Bezüge der 419 000 Altersrentner im Nordosten bei 1306 Euro. Die gebürtige Malchinerin stellt sich die Frage, ob sie jetzt dafür bestraft wird, dass sie und ihr Mann, mit dem sie 45 Jahre lang verheiratet war, über Jahrzehnte fleißig gearbeitet haben. Für rund 47 Arbeitsjahre erhält die Mutter zweier Kinder nach der Rentenerhöhung im vergangenen Jahr 1836 Euro Alters- und eine Witwenrente in Höhe von rund 600 Euro. Grundfreibetrag steigt jährlich: Jeder Bürger mit Gesamteinkünften über dem jeweils gültigen Grundfreibetrag – 2019 belief er sich auf 9168 Euro und für Ehepaare auf 18 336 Euro – ist steuerpflichtig. „Dies gilt auch für Rentner“, sagt Rechtsanwalt Jörg Hähnlein, Geschäftsführer der Steuerberaterkammer MV. Der Steuerfreibetrag indes erhöht sich jährlich. Im vergangenen Jahr betrug er 9468 Euro, 2021 sind es 9744 und 2022 dann 9984 Euro. Hähnlein macht darauf aufmerksam, dass seit 2005 bei Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung die nachgelagerte Besteuerung gilt. Steuerermäßigungen sind möglich: „Hier handelt es sich um einen Systemwechsel“, betont Dr. Frank-Peter Maaß. Der Chef der BBO Steuerberatung Rostock erklärt: Wer 2005 und früher in Rente gegangen ist, muss 50 Prozent dieser Bezüge versteuern. Wer 2040 in Rente gehen wird, hat dann auf seine gesamte Rente Steuern zu zahlen. Folglich entscheidet das Jahr des Renteneintritts über die tatsächliche Höhe des Betrages, den der Fiskus fordert. Bei Frau Wilde, die seit 1. Dezember 2017 Rente erhält, werden konkret 74 Prozent ihrer Altersbezüge versteuert. „Eine solche konkrete Information könnte die Rentenkasse in ihrem Schreiben den Bürgern durchaus geben“, sagt Jurist Hähnlein. „Und Rentner können Steuerermäßigungen geltend machen“, verdeutlicht Dr. Maaß. Diese fallen nicht üppig aus. Doch es kann sich im konkreten Fall lohnen, beispielsweise Zuzahlungen für Medikamente, die die Krankenkasse nicht übernimmt (siehe Kasten), zu sammeln, so der Steuerfachmann. Als Werbungskosten oder Sonderausgaben bzw. Steuerermäßigungen kommen für Rentner unter anderem infrage: Krankheitskosten: Dazu zählen Zuzahlungen für Rezepte, für andere Medikamente sowie sonstige Arztkosten, die die Krankenkasse nicht übernimmt. Dabei ist eine sogenannte zumutbare Belastung zu berücksichtigen. Bei kinderlosen Bürgern beläuft sich diese beispielsweise auf vier bis sieben Prozent des Gesamtbetrages der Einkünfte. Rechtsverfolgungskosten, also Anwaltskosten, die bei Auseinandersetzungen mit der Rentenversicherung entstehen. Aufwendungenfür zusätzliche Krankenversicherungen. Steuerberatungskostenfür die Steuererklärung. Ausgaben für Handwerkeroder haushaltsnahe Dienstleistungen. Absetzbar sind 20 Prozent der Aufwendungen, maximal bis zu 1200 Euro im Jahr. Aufgepasst: Berücksichtigt werden diese beim Steuerabzug für das Jahr, in dem die Rechnung beglichen wurde. Materialkosten der Handwerkerrechnung sind nicht absetzbar. Ausgaben gemäß der Nebenkostenabrechnungen des Vermieters (Wartungskosten, Hausmeisterkosten usw.) sehr wohl. Bei Einfamilienhaus bzw. Eigentumswohnung sind Renovierungskosten bzw. Ausgaben für die Gartenarbeit absetzungsfähig. Hier wird aber nur, wie in anderen Fällen auch, der Arbeitsaufwand berücksichtigt. Seit 2020 könnenEigentümer von Einfamilienhäusern bzw. Eigentumswohnungen auch Ausgaben für die energetische Sanierung geltend machen. Konkret sind 20 Prozent der Aufwendungen auf drei Jahre verteilt abzugsfähig. Bundesfinanzhof muss entscheiden: „Eine pauschale Doppelbesteuerung existiert indes nicht. Auch wenn dies landläufig häufig behauptet wird“, so Hähnlein. Konkret entrichteten die Bürger während ihrer Erwerbstätigkeit Steuern für staatliche Aufgaben. Dazu gehörten zum Beispiel der Betrieb von Schulen, Kindergärten und das Aufrechterhalten der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Mit dem Systemwechsel 2005 können die Arbeitnehmer zudem schrittweise höhere Rentenbeiträge vom steuerpflichtigen Einkommen abziehen. Umstritten ist allerdings, ob die seit 2005 erfolgte Besteuerung der Renten höher ausfällt als die steuerliche Entlastung für Rentenbeiträge, die davor von den Arbeitnehmern entrichtet wurden. „Es wird seit Jahren ein Grundsatzstreit um eine solche mögliche Doppelbesteuerung der gesetzlichen Rente geführt. Der Bundesfinanzhof muss entscheiden, ob diese vorliegt. Denn eine Doppelbesteuerung ist verfassungswidrig“, betont Dr. Maaß. Noch immer sind beim Bundesfinanzhof zwei Revisionsverfahren von Rentnern anhängig (X R 33/19 und X R 20/19). Diese sollen nun endlich im Frühjahr entschieden werden. „Deshalb könnte es sein, dass auch Karin Wilde, die über einen langen Zeitraum Rentenbeiträge vor 2005 eingezahlt hat, eine Rückerstattung vom Finanzamt erhält“, erläutert der Rostocker Steuerexperte. Er ergänzt: „Frau Wilde sollte gegen die vorliegenden Steuerbescheide mit Verweis auf die anhängigen Verfahren Einspruch einlegen!“ Lesen Sie auch Ärger um Impfzentren in MV: Legt die Rentenversicherung alles lahm? Verbraucherzentrale: Betriebsrente lohnt sich nicht für jeden Linke fordern Steuerentlastung: Standardrentner zahlt 526 Euro pro Jahr Von Volker Penne