„Singende Hände“ treten mit stummen Liedern auf

Es ist still, wenn die „Singenden Hände“ ihre Stimme erheben: „Ostern — große Freude: Jesus lebt!“ Drei Finger schnellen wie Hasenohren an den Kopf. Ostern — alles klar. Vier Frauen und zwei Männer zählt der einzige Gebärdenchor in Mecklenburg-Vorpommern. Sie sind gehörlos und singen tonlos, nur mit den Händen. Jeden Mittwoch treffen sie sich im Büro der evangelischen Gehörlosenseelsorge in Evershagen und proben zwischen Regalen, Schreibtisch und Kartons. Chorleiterin Antje Hebst hat hier ihren Arbeitsplatz. Die 37-Jährige, selbst schwer hörgeschädigt, hat den Chor vor rund fünf Jahren ins Leben gerufen. „Alle sind mit Spaß und Freude dabei“, sagt sie und übersetzt dies mit Gebärden. Die anderen lächeln, heben ihre Hände und schlackern damit locker in der Luft herum — Zeichen des Beifalls, der Freude, der Zustimmung. Kurt Zschockelt ist mit 72 Jahren der älteste „Chorknabe“, Chris Berger mit 52 Jahren der jüngste. Die Frauen sind 57, 59 und 71 Jahre alt und zwei von ihnen noch berufstätig als Hauswirtschafterin und Sozialarbeiterin. Sie alle kommunizieren von Kindesbeinen an in Gebärdensprache und freuen sich auf die wöchentliche Chorprobe. Derzeit üben die Rostocker eifrig für den evangelischen Kirchentag Anfang Juni in Stuttgart, wo sie als einziger Gebärdenchor aus ganz Deutschland auftreten werden. Die Konkurrenz ist bundesweit übersichtlich, an zwei Händen abzuzählen: Antje Hebst nennt einige Gebärdenchöre — in Hamburg, Berlin, Oldenburg, Hannover, Leipzig, Erfurt. In MV sind die „Singenden Hände“ noch immer die einzige, so außergewöhnliche „Singegruppe“. „Wichtig sind Mimik und Bewegung“, sagt die Chefin, die vorn den Takt und die Gebärden vorgibt. „Und natürlich muss alles synchron sein.“ Es sind vor allem Kirchenlieder, die der Chor einstudiert. Wenn es um Gott geht, werden Daumen, Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand in die Höhe gestreckt — die Dreieinigkeit Gottes. „Wir haben aber auch zwei neutrale Lieder im Repertoire“, sagt Antje Hebst: „Wir gehörlos“ und „Leuchtturm“, die auch auf dem Kirchentag vorgestellt werden. Mindestens fünf Auftritte pro Jahr bestreitet der Chor. Das nächste Mal ist er am 5. Mai beim Europäischen Aktionstag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung im Rathaus der Hansestadt zu erleben. Die „Singenden Hände“ waren schon in Hamburg und Ratzeburg, in Jena und Bad Blankenburg, meist zu kirchlichen Veranstaltungen. Oft wird der Liedtext bei Auftritten mit Beamern an die Wand geworfen oder von Dolmetschern aus der Gebärdensprache übersetzt, wie Antje Hebst erklärt. Im Herbst reisen die Rostocker nach Berlin zum alljährlichen Treffen der Gebärdenchöre. Auf eigene Kosten, denn ihre Leidenschaft müssen sie selbst finanzieren. „Es ist für viele Vereine heute schwer, Sponsoren zu finden“, weiß Antje Hebst. Doch es sei ihnen wichtig, anderen die Gehörlosenkultur nahe zu bringen, zu zeigen, was „Singende Hände“ bedeuten. Den Namen hat sich die Chefin ausgedacht, das Logo, das auch eigene T-Shirts ziert, hat Astrid Zielske (59) entworfen. „Wir sind stolz, was wir können“, gebärdet sie. Sprache seit 2002 amtlich Seit 2002 ist die Gebärdensprache in Deutschland amtlich anerkannt. Seitdem hat sich eine kleine Kultur darum entwickelt, zu der seit einigen Jahren auch Chöre gehören. In denen wird gemeinsam „gesungen“, allerdings ohne einen Laut. In Workshops werden neue Lieder in Gebärdenpoesie erarbeitet und ausgetauscht. Es gibt Kanons, Mitmachlieder oder wellenförmige Choreografien, etwa 50 verschiedene. Bundesweit gibt es etwa ein Dutzend Gebärdenchöre. Doris Kesselring

Rostock-Evershagen - „Singende Hände“ treten mit stummen Liedern auf