Theaterstreit eskaliert: Intendant soll Abmahnung erhalten

Der Rostocker Theaterintendant, Sewan Latchinian, ist ein Mann der markigen Worte, wenn es um die Rettung aller vier Sparten am Volkstheater geht. Für Kritiker hat er nun den Bogen deutlich überspannt. In einem Interview wirft Latchinian Politikern Dilettantismus und Überforderung vor. In einer Rede vergleicht er Politiker, die Kultur abbauen, indirekt mit Schergen des „Islamischen Staates“, die im Irak Kulturgüter zerschlagen. Die Reaktion kommt prompt: Oberbürgermeister Roland Methling (UFR) prüft rechtliche Schritte. Die Fraktionen von SPD und UFR fordern Sanktionen. „Ich bin schwer entsetzt“, erklärt UFR-Fraktionschef Malte Philipp. „Ein Intendant kann nicht seinen Arbeitgeber öffentlich beleidigen.“ Er brachte gestern einen Dringlichkeitsantrag für die Sitzung der Bürgerschaft heute ein. Inhalt: Prüfung der Aussagen Latchinians und Einleitung disziplinarischer Schritte. „Eine Abmahnung ist denkbar“, sagt Philipp. „Vielleicht auch mehr.“ Oberbürgermeister Roland Methling (UFR) soll nach OZ-Informationen bereits aktiv geworden sein. Heißt: Er soll juristisch überprüfen lassen, in wieweit die Aussagen des Intendanten rechtlich verwertbar sind. Anstoß ist ein Interview Latchinians mit der Vereinigung Deutscher Opernchöre und Bühnentänzer. Dort spricht er von einer „überforderten Bürgerschaft“ und „Dilettantismus der Beschlussvorlage“. Er kündigt an, den Beschluss seines Dienstherren nicht ernst zu nehmen. Methling will sich zu Personalfragen nicht äußern — wohl aber zur Kritik des Intendanten: „Die in jüngster Zeit übermittelten Aussagen von Herrn Latchinian wären in keinster Weise hinnehmbar.“ In der Kritik steht auch eine Rede des Intendanten auf einer Demonstration kürzlich in Neustrelitz. Latchinian kritisierte dort den Kultur- und Personalabbau bei der geplanten Theaterreform im Land. Solche Pläne lägen „in ihren Konsequenzen auf einer unseligen Traditionslinie von Vandalismus, die Jahrtausende alt ist“, sagte er und brachte als Vergleich die Sprengung der Universitätskirche Leipzig unter der SED-Diktatur in den 1960er Jahren und die Zerstörung von Kulturstätten durch „IS-Schergen“ im Irak (Wortlaut siehe Kasten). Zitat: „Ich setze das nicht gleich, aber vergleichen dürfen muss man das schon.“ Zuhörer war damals Michael Körner, Vorsitzender des Landeskulturrates. „Das geht gar nicht“, sagte er gestern. Man könne nicht Demokraten „in eine Beziehung setzen zu Diktatoren, Mördern und fanatischen Kulturzerstörern“. Latchinian belaste zudem unnötig das bereits schlechte Klima zwischen den Theatern in MV. Ähnlich sieht das Steffen Wandschneider, SPD-Fraktionschef in der Rostocker Bürgerschaft. Der Intendant sei Angestellter der Stadt und könne seine Dienstherren öffentlich nicht „mit Verbrechern vergleichen“. Das müsse Konsequenzen haben. Malte Philipp (UFR) kritisiert: „Der Intendant benutzt ein Vokabular, das die Gesellschaft spaltet. Eine solche Polarisierung ist einer Demokratie unwürdig.“ Auf Distanz zum Intendanten geht selbst Eva-Maria Kröger (Linke), bislang eine seiner stärksten Befürworterinnen: „Wir unterstützen Herrn Latchinian aus Überzeugung, aber solche Äußerungen können wir nicht ignorieren. Wer diese Vergleiche zieht, muss auch die Verantwortung dafür tragen.“ Sewan Latchinian bedauert die Aufregung um seine Worte. Er könne und wolle sich nicht diplomatischer ausdrücken. „Weil sich dann auch nichts ändert.“ Er wolle die Menschen wachrütteln, da das Theater mit dem Strukturbeschluss zerstört werde. Die Bürgerschaft hat kürzlich ein sogenanntes „2+2-Sparten-Modell“ für das Theater beschlossen. Schauspiel und Orchester sollen eigenständig bleiben, Tanz- und Musiktheater mit anderen Häusern kooperieren. Latchinian befürchtet den Abbau von bis zu 100 der 270 Stellen. Kulturminister Mathias Brodkorb (SPD) will sich nicht zur Sache äußern. Dafür Norbert Nieszery, SPD-Fraktionschef im Landtag: „Da ist jemand weit über das Ziel hinausgeschossen. Herr Latchinian täte gut daran, sich an der sachlichen Diskussion über die Theater zu beteiligen.“ Aus Latchinians Rede „ ... Ich muss es hier und heute leider in aller Deutlichkeit sagen, diese Pläne liegen in ihren Konsequenzen auf einer unseligen Traditionslinie von Vandalismus, die Jahrtausende alt ist. Allein in meiner bisherigen persönlichen Lebenszeit hat dieser Vandalismus in den 60er Jahren zum Beispiel zur Sprengung der jahrhundertealten Leipziger Universitätskirche geführt, damals im Namen einer Ideologie. Seit Wochen zerstören in dieser Weise IS-Schergen im Irak die jahrtausendealten Weltkulturerbestätten Nimrud und Kirkuk, aus religiösen Vorwänden. Und hier bei uns in Mecklenburg-Vorpommern — ich setze das nicht gleich, aber vergleichen dürfen muss man das schon — hat momentan im Namen des Geldes die Zerstörung funktionierender Theaterstrukturen begonnen...“ Sewan Latchinian am 9. März auf einer Demo in Neustrelitz. Rote Linie überschritten Hat der Intendant Demokraten in Rostock mit Terroristen des Islamischen Staates verglichen? Er hat, wenn auch indirekt und wortgewandt verschlüsselt. Und damit überschreitet Sewan Latchinian die rote Linie zur Geschmacklosigkeit. Ohne Frage hat das Volkstheater Rostock einen engagierten Mann an der Spitze. Vielleicht ist er das Beste, was dem Haus und den Mitarbeitern in der schwierigen Zeit passieren konnte. Ein Mann, der kämpft und scharf argumentiert. Hier sind dem Intendanten aber die Pferde durchgegangen. Es verbittet sich, handelnde Personen in einer demokratischen Gesellschaft derart in Misskredit zu bringen. Die Freiheit der Meinung ist ein hohes Gut; nur muss sie Grenzen haben — bevor andere beleidigt werden. Dass die gescholtenen Politiker quasi Arbeitgeber des Intendanten sind, kann sogar sein Schaden werden. Das wäre sicher nicht das Beste für das Volkstheater. Frank Pubantz

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