Zwischen Sorge und Disziplin: Der Warnemünder Wochenmarkt zur Corona-Krise

Der Warnemünder Wochenmarkt bietet nicht nur die Möglichkeit, frische Waren einzukaufen, sondern ist für viele Anwohner auch die Möglichkeit, sich mit Händlern, Nachbarn und Bekannten auszutauschen. Seitdem sich die Corona-Infektionen in Deutschland und damit auch MV häufen, hat sich aber sowohl das Verhalten der Händler als auch der Kunden verändert. Viele sind vorsichtig, andere uneinsichtig. Häufiger kommt es nun zu Wortgefechten. Alexander Becker hat seinen Stand dieses Mal umgebaut. Ein Verkaufstisch mit vielen frischen Waren trennt ihn und den Kundenstrom. Vorne hängt eine Pappe. Darauf zu lesen: „Bitte nichts anfassen! Abstand halten!“ Ein Kunde nähert sich dem Tisch und greift nach den Frühlingszwiebeln. Becker ermahnt freundlich und wiederholt die Sätze, die in Hüfthöhe des Kunden prangen. Dieser fühlt sich ertappt, entschuldigt sich und legt das Gemüse schnell wieder zurück. Sicherheit für Händler und Kunden: „Seitdem die Corona-Krise so um sich greift, haben wir viele neue Kunden, die mit den Gepflogenheiten hier nicht vertraut sind“, sagt Becker. Denn anfassen durfte man seine Ware schon vorher nicht und Becker steht hier bereits seit 15 Jahren jeden Samstag. Die aktuelle Situation verunsichert den Unternehmer. Das Einzige, was ihn noch bei Laune halte, sei die Treue seiner Stammkundschaft. „Es gibt den Leuten Sicherheit, wenn sie sehen, dass ich noch da bin. Gleichzeitig gibt es mir Sicherheit zu sehen, dass es meinen Stammkunden noch gut geht.“ Ein Stück weiter betreten Johanna Kock (82) und Sigrid Leuphold (86) das Marktgelände. Die beiden Freundinnen wollen nur das Nötigste besorgen. „Seit acht Tagen bin ich sehr vorsichtig und meide möglichst jeden Kontakt“, sagt Leuphold. Jedoch sei der Warnemünder Wochenmarkt ein fester Termin. „Und hier sind ja alle vernünftig“, sagt Leuphold. Weder Stühle noch Tische: Das sieht Frank Hapke etwas anders. Direkt hinter den beiden Frauen verkauft er Eintöpfe und Gulasch. „Viele Menschen kommen mir immer noch zu nahe und ich weise sie dann darauf hin, dass sie doch besser Abstand halten sollen.“ Schon im nächsten Moment bestätigt sich Hapkes Schilderung. Eine ältere Dame bittet um etwas Gulasch und tritt für die Bezahlung direkt an die Seite des Verkäufers. Ihn und die Kundin trennen nun maximal 40 Zentimeter. „Sehen Sie?“, sagt Hapke. Die Rostocker Großmarkt GmbH hat verschiedene Maßnahmen für ihre Wochenmärkte ergriffen. Von einer ist Hapke direkt betroffen. „Wir dürfen keine Stühle und Tische mehr herausstellen.“ Unter seinem Zelt ist es dementsprechend leer. „Sonst essen 40 bis 50 Prozent hier vor Ort.“ Nun fehlen dem Unternehmer nicht mehr nur Touristen, sondern auch ein Teil der Stammkunden, die regelmäßig bei ihm gespeist haben. „Heute wird sich entscheiden, ob mein Unternehmen diese Krise überlebt“, sagt Hapke. Sorge vor der Reaktion der Menschen: Die Hysterie, die um eine potenzielle Ausgangssperre gemacht werde, findet Sibylle Parczyk nicht gut. „Ich frage mich, ob die Politik etwas vertuschen möchte“, sagt die Warnemünderin, die sich im Plausch mit ihrer Freundin Christel Bäskau im sicheren Abstand befindet. „Die Grippe hat in den letzten Jahren doch auch viele Tote gefordert.“ Sie verabschiedet sich mit Wildfleisch im Beutel, mit dem sie heute Gulasch zubereiten möchte. „Ich habe keine Angst, aber Sorge darum, wie die Menschen auf diese Situation reagieren“, sagt Christel Bäskau treffend, nachdem ihre Freundin von dannen gezogen ist. „Unsere Wochenmarktmeister kleben Distanzbänder und achten täglich auf die Einhaltung aller empfohlenen Maßnahmen“, sagt Katrin Mau von der Großmarkt GmbH. Auf dem Warnemünder Wochenmarkt ist von Distanzbändern aber nichts zu sehen. Auf dem kleinen Platz stehen die Buden eng an eng. Die Warteschlangen sind zwar immer mal wieder durch achtsame Kunden durchbrochen, doch nicht überall wird auf die Verhaltensregeln geachtet. Angespannte Kunden: So beschreibt eine Verkäuferin, dass sie immer wieder sehe, wie Menschen Äpfel anfassen und diese einfach wieder zurücklegen. Christiane Meyer (Name v. Red. geändert) vom Obst- und Gemüsestand Biofrisch Nordost habe in den vergangenen Tagen auch mehrfach Auseinandersetzungen gesehen. „Eine Frau hat sich etwa in der Schlange die Nase geputzt und wurde daraufhin von einer Mutter angeschrien, was ihr einfalle, dies in der Nähe ihres Kindes zu machen.“ Viele Menschen seien halt sehr angespannt im Moment. Immer wieder erwähnen Händler, dass es wichtig sei, den Wochenmarkt aufrecht zu erhalten. „Schließlich ist die Gefahr, in einem Supermarkt infiziert zu werden, deutlich höher als an der frischen Luft“, sagt Frank Hapke. Doch selbst die Großmarkt GmbH bemängelt das Verhalten einiger Kunden. Denn es fehle leider immer noch bei einigen Marktbesuchern die nötige Disziplin und das Verständnis. Die Rostocker Großmarkt GmbH betreibt derzeit zehn Wochenmärkte in Rostock – Montag bis Freitag auf dem Neuen Markt, Montag und Donnerstag auf dem Doberaner Platz, Dienstag, Freitag und Samstag auf dem Ulmenmarkt, Dienstag und Freitag in Lütten Klein, Mittwoch auf dem Margaretenplatz und in Dierkow, Donnerstag in Gehlsdorf und Toitenwinkel, Samstag auf dem Warnemünder Kirchenplatz und Samstag und Sonntag den Fischmarkt auf der Mittelmole. Aufgrund der Corona-Krise haben sich bislang sieben Händler abgemeldet. Der Warennachschub sei für die übrigen Anbieter nach Information der Großmarkt GmbH aber gesichert. Lesen Sie auch Quarantäne im Kleingarten: Rostocks OB Madsen will Schlaf-Verbot für Lauben aufheben Rostocker Kassiererin in Corona-Zeiten: „Bitte lasst eure Kinder zu Hause“ Corona-Krise: Diese Händler aus MV bieten ab sofort Abhol- oder Lieferservice Von Moritz Naumann