Corona: Bei Unvernunft zieht Wismars Bürgermeister die Reißleine

Die Hansestadt befindet sich im Krisenmodus. In Nordwestmecklenburg gibt es aktuell 14 Corona-Fälle. Um die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern, wird das öffentliche Leben immer weiter eingeschränkt. Über die aktuelle Situation und die möglichen Folgen sprach die OSTSEE-ZEITUNG mit Wismars Bürgermeister Thomas Beyer (SPD). Herr Beyer, begrüßen Sie Freunde und Bekannte noch per Handschlag? Beyer: Seit mindestens zwei Wochen nicht mehr. Wie groß ist Ihre Angst, sich mit dem Coronavirus anzustecken? Die ist nicht so groß, ich habe aber Respekt davor. Die Aussage der Fachleute ist, dass bei vier von fünf Menschen der Verlauf der Erkrankung sehr harmlos ist, manche merken gar nichts. Es geht vor allem um die schweren Fälle. Um die zu vermeiden, müssen wir die Gesamtzahl so niedrig wie möglich halten. Das ist existenziell. Darauf zielen alle Maßnahmen ab. Was ist die größte Herausforderung in diesen Tagen? Auf der einen Seite, die Situation sehr, sehr ernst zu nehmen. Auf der anderen Seite, nicht in Panik und zu große Ängste zu verfallen. Mein Motto lautet: Zusammenhalten durch Abstand halten. Also nicht direkt kommunizieren, sondern zum Beispiel übers Telefon. Haben Sie Verständnis, wenn angesichts all der Einschränkungen von Panikmache gesprochen wird? Das ist keine Panikmache. Darum habe ich kein Verständnis dafür. Die Fachleute vom Robert-Koch-Institut sagen: Wenn wir den Kontakt untereinander minimieren, wird es nicht so viele Fälle gleichzeitig geben. Das ist die einzige Chance, die wir haben, damit das Gesundheitssystem nicht überlastet wird. Dieses Bewusstsein müssen wir weiter unter die Leute bringen. Ich habe den Eindruck, dass das in Wismar von vielen Leuten sehr ernst genommen wird. Es ist jetzt nicht die Zeit, wo man groß und viel diskutieren sollte. Wenn die Ansage für Schutzmaßnahmen da ist, werden diese so umgesetzt. Punkt! Frische Luft tut auch in Krisenzeiten gut. Ist die Sperrung des Bürgerparks nicht übertrieben? Nein! Wenn sich dort große Gruppen treffen, um zu feiern und zu grillen, dann ist das der völlig falsche Weg. Das war sehr unvernünftig. Darum habe ich an der Stelle die Reißleine gezogen. Natürlich kann man an die frische Luft gehen. Ich war in der Frühe auch joggen, aber allein. Läden müssen schließen, Gaststätten dürfen nur bis 18 Uhr öffnen, Spielplätze sind Tabuzonen: Wer soll das kontrollieren? Zunächst ist es wichtig, dass sich alle von sich aus an die Verbote halten. Das machen wir gemeinsam mit dem Landkreis und der Polizei. Ich bin gestern durch die Stadt gefahren und war positiv überrascht, wie gut das meistens eingehalten wird. Ladeninhaber zum Beispiel trifft es sehr hart. Ja, das ist leider so. Was ich mir wünsche: Es gibt eine Reihe von Läden in Wismar, die ihre Waren telefonisch oder per Mail anbieten und sie auch ausliefern. Es wäre schön, wenn dieses Angebot genutzt wird, damit unserem örtlichen Einzelhandel diese Möglichkeit noch bleibt. Mit welchen Maßnahmen zur Einschränkung des öffentlichen Lebens ist noch zu rechnen? Ich will keine Mutmaßungen anstellen, aber ich rechne mit neuen Maßnahmen. Die Krise wird Löcher in den Haushalt der Stadt reißen, weil Einnahmen aus zum Beispiel Eintrittsgeldern und bei der Gewerbesteuer wegbrechen. Wie reagiert die Stadt? Das ist zurzeit nicht unser Thema. Wenn sich Leute an uns wenden, weil sie Gewerbesteuervorauszahlungen nicht tätigen können, dann stunden wir und kommen den Unternehmen zum Beispiel sehr weit entgegen. Die Frage der finanziellen Situation wird auf die Tagesordnung kommen. Da erwarten wir dann Unterstützung durch das Land, aber das steht jetzt nicht im Vordergrund. Die Bürgerschaft muss Auftragsvergaben zustimmen. Wird es im März eine Sitzung geben? Nein, wegen der Krise wird keine Sitzung stattfinden. Gegen Sie davon aus, dass alle Vorhaben der Stadt wie geplant umgesetzt werden können? Grundsätzlich ja, eine Aussage dazu ist aber noch viel zu früh. Wir werden nach der Krise unsere Strategie anpassen müssen. Eine Frage, die unsere Redaktion erreicht hat: Wird die neue Werftstraße noch gebaut? Warum nicht? Wir haben ja nicht den völligen Stillstand. Der Aufschwung von Wismar ist nicht nur, aber doch entscheidend mit dem Comeback der Werft verbunden. Befürchten Sie, dass die Krise gravierende negative Auswirkungen auf die Werft hat, weil die Kreuzschifffahrt weltweit zum Erliegen gekommen ist? Ich glaube, es kann keiner zurzeit eine Prognose abgeben, wie tief der Einschnitt in die wirtschaftliche Situation weltweit sein wird und wie schnell wir uns davon erholen. Sie sind im engen Austausch mit der Werft. Haben Sie negative Signale vernommen? Natürlich ist der Eigentümerkonzern betroffen, weil er mehrere Reedereien für Kreuzfahrtschiffe hat. Die liegen jetzt am Kai. Das ist natürlich für Genting eine schwierige ökonomische Situation. Das gilt aber auch für alle anderen Branchen. Auch für die Werft gilt, was seitens der Bundesregierung veranlasst wurde, dass jetzt ein sogenannter Schutzschirm ausgebreitet wurde. Wie groß ist Ihre Sorge, dass die Krise eine Vielzahl von Unternehmen in die Knie zwingt und Entlassungen von Mitarbeitern in Größenordnungen bevorstehen? Sorgenfrei bin ich nicht. Ich weiß aber nicht genau, wie tief der Einschnitt sein wird. Ich setze auf die Verantwortung aller, dass nach der Krise die Wirtschaft wieder angekurbelt wird. Ich nehme die Bundes- und die Landesregierung so wahr, dass versucht wird zu vermeiden, dass die Einschläge zu tief sind. Die meisten Einschränkungen sind vorläufig bis zum 20. April datiert. Rechnen Sie damit, dass der Zeitraum ausgedehnt wird? Das kann jetzt keiner ernsthaft sagen. Herr Beyer, sehen Sie auch positive Begleiterscheinungen der Krise? Positiv ist sicher der solidarische Gedanke. Viele ziehen mit. Das gilt für meine Mitarbeiter, für den Austausch mit der Landesregierung und auch für sehr große Teile der Bevölkerung. Auf dieses Verständnis setze ich weiter. Man spürt den Zusammenhalt in der Krise, viele sind bereit, etwas dafür zu tun, dass wir die Krise gemeinsam bewältigen. Das Rathaus und alle Ämter der Hansestadt sind für den Publikumsverkehr geschlossen. Dringende Anliegen werden nach telefonischer Rücksprache bearbeitet. Zentrale Nummern: 03841/251-1122, 251-2222, 251-3333, 251-6666. Dafür gelten folgende Zeiten: montags, dienstags, donnerstags von 9 bis 15.30 Uhr sowie mittwochs, freitags von 9 bis 12 Uhr. Für das Bürgerservicecenter gilt eine gesonderte Regelung: Telefon (03841/251-2345) oder per E-Mail an BSC@wismar.de Wohngeldanträge und Anträge auf Erteilung eines Wohnberechtigungsscheines können postalisch eingereicht werden. 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