„Der Drache“ brüllt in Wismar

Welches Stück passt besser zu St. Georgen als „Der Drache“? Der heilige Georg, der Schutzpatron der Wismarer Kirche, ist bekannt als „Drachentöter“, als mutiger Ritter mit der Lanze. In der Überlieferung rettet er die jungfräuliche Königstochter vor dem Drachen. Die Bestie fordert die Jungfrau als Opfer von der Bevölkerung. Nach dem Tod des Drachens ist das Land vom Bösen befreit. Lustig, zynisch, bitterböse und sehr aktuell – so beschreiben Schauspieler Sascha Gluth, Ralf Lorber als Vorsitzender des Trägervereins „Festspiele Wismar“ und Bühnenbildner Falk von Wangelin das, worauf die Wismarer sich ab dem 5. Juli freuen können. „Eine Märchenkomödie mit bitterböser Gesellschaftssatire“, erzählt Sascha Gluth von einer Gesellschaft, für die ein Leben ohne Freiheit sehr bequem erscheint. Denn der Drache beherrscht eine ganze Stadt. Aber er scheint ein liebevoller Diktator zu sein. Selbst die Jungfrau – jedes Jahr will er eine verspeisen – mag ihn und ergibt sich ihrem Schicksal. Wieso auch nicht? Den Menschen geht es gut, sie sind zufrieden. „Wenn du es warm und weich hast, tust du am klügsten, wenn du vor dich hindöst und schweigst, mein Bester“, sagt der Kater gleich in der ersten Szene zum potenziellen Drachentöter Lanzelot. Währenddessen erzählen die Hausherren – darunter die auserwählte Jungfrau Elsa – von der ruhigen Stadt. Und vom Drachen, der die Stadt von den Zigeunern gesäubert hat. „Ich habe freilich in meinem Leben noch keinen einzigen Zigeuner gesehen. Aber ich habe noch in der Schule gelernt, was das für fürchterliche Menschen sind“, sagt der Vater der Jungfrau. Lanzelot fragt nach, wer den Menschen all das Böse über die Zigeuner erzählt habe. „Unser Drache. Die Zigeuner waren plötzlich gegen ihn aufgetreten in den ersten Jahren seiner Herrschaft.“ Die Menschen füttern den Drachen durch, opfern ihm die Jungfrau und beschweren sich nicht. Denn: „Die beste Drachenabwehr ist ein eigener Drache!“ Dumm nur, dass alle anderen Drachen längst ausgestorben sind. Aktueller denn je hält das Stück der Gesellschaft einen Spiegel vor, denn „der Herr Drache wohnt schon so lange unter uns Menschen, dass er sich gelegentlich selber in einen Menschen verwandelt“. Viel Wortwitz, viel Situationskomik, viel Sarkasmus und Ironie voller Deutungsmöglichkeiten in Vergangenheit und Gegenwart – wer heutzutage Drache ist, wer das untergebene Volk, wird sich zeigen. 1943 hat der russische Autor Jewgeni Schwarz (1896-1958) sein Erwachsenenmärchen „Der Drache“ geschaffen, ein „Politmärchen“ mit Jungfrau, Ritter und dem Drachen als personifiziertes Böse. Und mit einer unterdrückten Bevölkerung voller Angst vor Veränderungen. Aufgeführt werden durfte es im damaligen Leningrad (heute Sankt Petersburg) nicht. Nach der Generalprobe kam das Verbot. Drei Jahre nach dem Tod des Schriftstellers erschien „Der Drache“ für wenige Wochen in den Moskauer Buchläden. Unter Stalin verboten und erst 1961 im polnischen Nowa Huta uraufgeführt, glänzt die „Märchenkomödie“ als Parabel auf Diktatur, Macht und Manipulation. Legendär ist die ostdeutsche Inszenierung von 1965 am Deutschen Theater in Berlin. Sie wurde bis zum Sommer 1981 insgesamt 580-mal aufgeführt. Sogar in Paris und in Bonn gab es Vorstellungen. Die Akteure der „Klassikertage“ beleben diesen zeitlosen Klassiker neu, holen ihn nach Wismar in die Kirche des Drachentöters. Der einmalige Spielort begeistert seit fünf Jahren mit den Inszenierungen im Sommer. Der Kartenvorverkauf für die diesjährigen Klassikertage in St. Georgen hat begonnen. Tickets gibt es in in allen Service-Centern der OSTSEE-ZEITUNG, in der Tourist-Information Wismar und an der Abendkasse, dazu bei der OZ unter Telefon 0381/38303017 sowie unter der Ticket-Hotline 01806/700733 sowie online bei eventim.de und reservix.de. „Der Drache“ hat am 5. Juli seine Premiere. 13 Vorstellungen sind bis 28. Juli geplant. Am 2. August ist die Wiederaufnahme von Hugo von Hoffmannsthals „Jedermann“ in der dann inzwischen fünften Spielzeit. Informationen unter http://www.klassikertage-wismar.de Nicole Hollatz

Wismar - „Der Drache“ brüllt in Wismar