Ein Kampf in einem Meer aus Plastikflaschen

Keine stehenden Ovationen, aber aufrichtigen Applaus gab es nach mehr als eineinhalb Stunden Hemingway im Wismarer Theater. „Der alte Mann und das Meer“: Kein leichter Stoff für einen Dienstagabend, nichts, wonach man gemütlich in die nächste Kneipe geht. Trotzdem fanden über 70 Gäste den Weg in das Haus, genossen schon vor Vorstellungsbeginn die Musik von Jens Hasselmann an der Gitarre, Ralf Wüstneck (Akkordeon), Diogenes Nodarse (Percussion) und Michael Hermann am großen Kontrabass. Dazu das Bühnenbild mit seinen intensiven Lichteffekten. Durchsichtige Plastikflaschen wurden mit der richtigen Beleuchtung zum Meer, in dem im vorderen Teil der Bühne das Boot schwamm. Dahinter der Ort, eine Hütte, die Strandbar mit den Musikern. Licht ist mal im vorderen, mal im hinteren Bühnenteil. Auf dem Boot der alte Mann. Horst Janson spielte ihn. Rein optisch entsprach der 79-jährige dünne, fast ausgemergelte Mann der Rolle gut. Im Dialog mit dem Jungen Manolo, mit sich selbst und mit dem Fisch überzeugte der Schauspieler, der aus vielen Spielfilmen und Fernsehserien bekannt ist, erst in der zweiten Hälfte sein Wismarer Publikum. Das Willensstarke, das Intensive des alten Fischers, der nach 84 Tagen ohne Fang heute sein Glück in Form eines großen Fisches finden will und findet, fehlte im ersten Teil des Stücks. Die sonst langen Monologe wurden in der Fassung des „Euro-Studio Landgraf Theaters“ immer wieder unterbrochen, aber auch inhaltlich und emotional untermalt mit Musik. Karibische Klänge mit einem Hauch von Deutschrock und Ina Müller. Marie-Luise Gunst sang von der „Handbreit Wasser unter dem Kiel“ und der „Handvoll Freunde“. Sie spielte auch als Barkeeperin die Erzählerin im Stück — ein angenehmer Kontrast zur Stimme des alten Mannes. Der ließ seine Zuschauer mitleiden. Den riesigen, wohl größten Fisch seines langen Fischerlebens an der Angel kämpft der alte Mann aus Hemingways Novelle tage- und nächtelang mit ihm. Bleibt stark, auch willensstark, während manch ein Gast im Zuschauerraum sich längst fragte, ob es sich lohnt, sich für Ruhm und einen großen Fisch so zu schinden. Die Würde des Alterns und die Erfahrung — wunderbar hervorgehoben von Peter Menden als Manolo — gegen den Selbstbetrug von Santiago, nicht zu erkennen, dass er es eben nicht mehr alleine schaffen kann. Horst Janson ließ seinen alten Mann ins Delirium abgleiten, in ein Gespräch zwischen Fisch und Fischer, während der ausgelaugte Körper nur noch funktionierte. Ernest Hemingways Novelle, 1952 erstmals veröffentlicht, verkaufte sich innerhalb weniger Tage 5,2 Millionen Mal. Die Geschichte trug dazu bei, dass ihm 1954 der Nobelpreis für Literatur verliehen wurde. Nicole Hollatz

Wismar - Ein Kampf in einem Meer aus Plastikflaschen