Ilja Richter: Keine Angst vorm Altwerden

Mit dem legendären „Licht aus — Spot an!“ begrüßte Buchhändler Volker Stein am Dienstagabend Ilja Richter im Wismarer Zeughaus. Dem Spruch, der mit der Kultsendung „Disco“ zum Markenzeichen Richters in den 1970er-Jahren wurde. Vor 200 Gästen — die Buchlesung war innerhalb kürzester Zeit ausverkauft — stellte der Fernsehmoderator, Schauspieler und Sänger singend, lesend und erzählend sein Buch „Du kannst nicht immer 60 sein“ vor. Die Stimme erkannten viele der Zuhörer sofort wieder — vielleicht war sie nicht mehr ganz so stimmbruch-quietschend wie früher, als manch einer aus dem Publikum Ilja Richter und seine Musikstars im „Westfernsehen“ heimlich sah. Auch ein Ilja Richter ist älter geworden, der Bügelfaltenhose von damals längst entwachsen. Krawattenlos blickt er 40 Jahre später als 60-Jähriger in die Zukunft des hoffentlich angehenden 70-, 80-Jährigen und dichtet Chris Roberts Schlager um. „Du kannst nicht immer 60 sein“, sang er dem Wismarer Publikum vor. Gedichte, tiefgründige Gedanken, Zitate von anderen klugen Köpfen — gut, wenn ein Schauspieler liest. Noch besser, wenn es eigene Texte sind. Beeindruckend, wenn der Schauspieler offensichtlich auch schreiben kann. Auch wenn Ilja Richter in alter Manier — oder weil man das so von ihm erwarten könnte — manch einen seiner angenehmen Gedankengänge „verschlagert“ vortrug, immer wieder aufsprang, um zu singen oder zu parodieren, blieb es doch eine Lesung, die nachdenklich stimmte. Auch wenn die Gäste herzhaft lachten und Richter ihnen viel Anlass dazu bot. „Eine heitere Kampfschrift gegen die unvermeidliche Endzeit“, skizzierte Ilja Richter selbst sein Buch. „Ich schau auf meine Lebenszeituhr und kann sie nicht entziffern“, las Richter. Er sang Schlager oder deutete sie singend an: „Am Tag, als Conny Kramer starb“ und „Alle Leute wollen in den Himmel, aber sterben wollen sie nicht.“ Das Mitklatschbedürfnis des offensichtlich schlagerverwöhnten Publikums verbat er sich charmant: „Typisch deutsches Schlagerklatschen, der 3/4-Takt wird durch Verhandlungen zum 2/4-Takt gemacht!“ Trotz seiner bunt eingestreuten Schlagertexte war es eine intellektuelle Lesung. „Ich kann meine Lebenszeituhr nicht entziffern. Wo hält für mich das letzte Schiff an? Es wäre beruhigend, auszupegeln, wo es mich abholt, um davonzusegeln, das verdammte Narrenschiff.“ Aus eigener Erfahrung erteilte er Ratschläge an die älteren Herren mit jungen Damen: „Darf ich Sie zur Witwe machen?“ Umgekehrt zu den jungen Damen: „Ab 40 können Sie sehen, wie er welkt, mag er das auch eine Metamorphose nennen.“ Nicole Hollatz

Wismar - Ilja Richter: Keine Angst vorm Altwerden