Keine Grippe wegen Corona-Regeln in Wismar und Nordwestmecklenburg

Norovirus, Influenza und Co: Die Ärzte im Sana-Klinikum in Wismar merken spürbar, dass durch verstärkte Hygiene- und Abstandsregeln Infektionskrankheiten durch verschiedene Erreger auf dem Rückzug sind. Für die aktuelle Saison wurde für den gesamten Landkreis Nordwestmecklenburg zudem noch kein einziger Fall der echten Grippe, also Influenza A oder B, gemeldet. Das bestätigt auch die Statistik des Landesgesundheitsamtes. Bei einer Krankheit, die vor allem Kinder trifft, sind 2020 allerdings mehr Fälle aufgetreten als in den Vorjahren. Dass im vergangenen Jahr weniger Krankheiten durch Viren und Bakterien bei den Menschen im Nordwestkreis ausgelöst wurden, merken auch die Mitarbeiter im Wismarer Klinikum: „Wir sehen seit dem Sommer letzten Jahres deutlich weniger saisonbedingte Infektionskrankheiten, als in den vergangenen Jahren. Dies betrifft in der Erwachsenenmedizin vorwiegend die Norovirus-Infektionen, aber auch Influenza A und B“, berichtet Dr. René Keller, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Klinik für Innere Medizin im Sana-Hanse-Klinikum Wismar. Weniger Grippe, weniger Windpocken, aber mehr Ehec: Das bestätigen auch die Zahlen vom Landesgesundheitsamt in Rostock (Lagus): „Aus Nordwestmecklenburg wurde bislang keine Grippeinfektion in der aktuellen Saison gemeldet“, bestätigt Lagus-Sprecherin Anja Neutzling. In der Saison 2019/2020 wurden aus Nordwestmecklenburg insgesamt 210 Influenzainfektionen gemeldet, in der Saison zuvor waren es 204 Infektionen. Landesweit waren es in der Vorsaison 3778 und in der Saison davor 6834 Fälle. Für eine generelle Einschätzung der aktuellen Grippesaison im Vergleich zur Saison 2019/2020 und 2018/2019 sei es aber noch zu früh. „Die Grippewelle erreicht Mecklenburg-Vorpommern erfahrungsgemäß nach den Februarferien“, berichtet Anja Neutzling. Lesen Sie auch Zum Start der Impfzentren in MV: In welcher Reihenfolge werden Senioren geimpft Jahresrückblick: Das war 2020 in Wismar los Grippeschutz in Nordwestmecklenburg: Großer Andrang bei Hausärzten und Gesundheitsamt wegen Impfung Doch auch andere Infektionskrankheiten sind auf dem Rückzug. So wurden für das Corona-Jahr 2020 auch viel weniger Fälle von Windpocken und Erkrankungen durch Noro- und Rotaviren verursacht. Bei Atemwegserkrankungen wie den klassischen Lungenentzündungen habe das Klinikum in Wismar in den vergangenen Monaten jedoch keinen wesentlichen Rückgang der Erkrankungszahlen verzeichnet. Lediglich ein Ehec-Ausbruch in Nordwestmecklenburg im vergangenen Jahr habe dafür gesorgt, dass die Fallzahlen dazu nach oben gingen. Weniger Atemwegsinfekte bei Kindern: „In der Kinder- und Jugendmedizin registrieren wir ebenfalls einen deutlichen Rückgang der Magen-Darm-Infekte“, berichtet Chefarzt René Keller weiter. Das betreffe vor allem Noroviren. Gegen Rotaviren seien die Kinder überwiegend geimpft. „Außerdem behandeln wir in der Kinderklinik deutlich weniger Atemwegsinfekte“, so Keller. Das seien vor allem sogenannte obstruktive Bronchitiden und RS-Virus-Infektionen, die für Säuglinge problematisch sind. Im Jahr 2020 haben sich im Nordwestkreis „nur“ 115 Menschen nachweislich mit einem Norovirus infiziert, 2019 waren es noch 314, 2018 waren es 393. Auch Infektionen mit einem Rotavirus sind rückläufig gewesen: 2020 waren es 25, während es 2019 noch 76 und 2018 72 waren. Sechs Fälle von Windpocken wurden dem Lagus 2020 aus Nordwestmecklenburg gemeldet, 2019 waren es 38 und 2018 19 Fälle. Lediglich ein Ehec-Darmbakterium hat für mehr Fälle als in den Vorjahren gesorgt: 34 Fälle wurden dem Gesundheitsamt 2020 aus NWM gemeldet, 2019 waren es 10 und nur 2 im Jahr 2018. Für diese positive Entwicklung machen die Ärzte im Klinikum auch die anhaltenden Hygiene- und Abstandsregeln zu Bekämpfung der Corona-Pandemie verantwortlich: „Es ist wahrscheinlich, dass die konsequent eingehaltenen Hygieneregeln, insbesondere der Verzicht auf das Händeschütteln und das Tragen des Mund-Nase-Schutzes, zu einer Reduktion der klassischen Infektionskrankheiten führte“, sagt Sana-Chefarzt René Keller. Chefarzt: Abstandsregeln sind auch ohne Pandemie in Erkältungszeit sinnvoll: Aus diesen Erfahrungen heraus spreche einiges dafür, die Corona-Abstandsregeln dauerhaft beizubehalten. Doch es gibt auch Einwände: „Gerade in der klassischen Erkältungszeit, wie in den Herbst- und Wintermonaten, wäre es nach Beendigung der Pandemie sicher sinnvoll, auf tradierte Gewohnheiten, wie das Händeschütteln, zu verzichten. Inwieweit sich strenge Hygieneregeln dauerhaft gesellschaftlich etablieren werden, bleibt abzuwarten“, schätzt Chefarzt René Keller ein. Kinderärztin: Dauerhafte Kontaktminimierung ist problematisch: So berichtet Dr. Meike Holbe, Chefärztin der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, hingegen dass zum Beispiel bei Kindern mit Entwicklungsverzögerungen aus sozial schwächeren Bereichen deutlich negative Effekte erkennbar sind. „Diese sind sicher auch auf reduzierte Kontakte in den Kitas zurückzuführen. Bei den größeren Kindern und Jugendlichen finden wir vermehrt psychosomatische Probleme als Folge der zum Teil zugespitzten Situation in der Häuslichkeit, so dass aus kinderärztlicher Sicht ein dauerhaftes Einführen der Kontaktminimierung problematisch wäre“, erklärt Chefärztin Meike Holbe. Von Michaela Krohn