Kinder in Nordwestmecklenburg ohne Test in Quarantäne: Eltern verärgert

In den vergangenen Tagen sind etliche Schulklassen in Nordwestmecklenburg in Quarantäne geschickt worden, weil jeweils ein Kind an der Schule positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Auf Poel hat das in der letzten Woche zunächst 97 Mädchen und Jungen getroffen. Die Klassen 5a, 5b, 5c, 6a und 6b sollten zu Hause bleiben. Die Entscheidung des Gesundheitsamtes des Landkreises hat für Unverständnis bei Eltern auf der Insel gesorgt, auch bei Olaf Deutschmann. Denn begründet wurde die Anordnung für seine Tochter mit einem „vielfältigen Kontakt“ zu einem positiv getesteten Kind. „Doch wenn es diesen gegeben hätte, warum wurde mein Kind dann noch nicht einmal getestet?“, fragt er. Sollte die Sorge um weitere Ansteckung so groß sein, dann sollten neben allen Kindern, die in Quarantäne geschickt wurden, auch deren Familienangehörige getestet werden. „Nur mit Testen kann man die Pandemie in den Griff bekommen“, betont er. Missachtung des Kindeswohls: Der Poeler wollte sein elf Jahre altes Kind nicht wochenlang isolieren, ohne dass es überhaupt getestet wird. „Das grenzt an Missachtung des Kindeswohls“, findet Olaf Deutschmann. Die Bundesregierung habe appelliert, es sollte so viel wie möglich getestet werden. „Aber das passiert zurzeit nicht“, moniert er. Olaf Deutschmann will sich nun selber um Tests kümmern, um sicher zu gehen, dass seine Familie nicht betroffen ist. Bereits einen Tag nach der Quarantäne-Anordnung für 97 Kinder hat der Kreis die Allgemeinverfügung für die Regionale Schule mit Grundschule Poel korrigiert. Die Begründung: „Nach weiteren Ermittlungen der möglichen Kontaktketten innerhalb der Schule stellte sich heraus, dass die gemeinsame große Pause doch unter einer Form von Trennung stattgefunden hat, die es erlaubte, die Quarantäne auf die Schülerinnen und Schüler der Klasse 5a einzugrenzen, die am 22. oder 23. März in der Schule waren.“ Die anderen Klassen wurden von der Quarantänepflicht befreit. „Aber ohne sie zu testen“, so Olaf Deutschmann. Test ist eine Momentaufnahme: Wie der Kreis mitteilt, sei ein Test eine Momentaufnahme: Hatte ein Kind zum Beispiel einen Tag vor der Quarantäne Kontakt zu dem Virus, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es negativ ist, weil die „Viruslast“ auch nach erfolgter Ansteckung noch nicht sehr hoch ist. Covid19 hat eine lange Inkubationszeit von bis zu 14 Tagen, in denen eine infizierte Person jederzeit infektiös werden kann. „Deshalb ist der logistische Aufwand einer Reihentestung nur dann zu rechtfertigen, wenn er aufgrund eines vermuteten länger zurückliegenden Beginns des Infektionsgeschehens Sinn macht und ein größeres Ausbruchsgeschehen vermutet wird“, heißt es weiter. In der Regel werde deshalb nur beim Auftreten von Symptomen ein Test angeordnet. Ein negativer Test direkt nach Beginn der Quarantäne würde auch nicht zur deren Aufhebung führen, da er wie gesagt nur bedingt aussagekräftig ist, ob eine Infektion vorliegt. Quarantäne für alle Schulkinder: Aktuell befinden sich in Nordwestmecklenburg etwa 400 Kinder als Kontaktpersonen in Quarantäne. Die Fritz-Reuter-Grundschule in Wismar wurde vergangene Woche komplett in Quarantäne geschickt – ebenfalls nach einem positiven Test bei einem Kind, das auch den Hort besucht hat. „Aufgrund einer unübersichtlichen Durchmischungslage“, wurde die Anordnung begründet. Betroffen waren 177 Kinder, zehn Lehrkräfte und sieben Erziehungspersonen im Hort. Sie sollten die gesamten Osterferien zu Hause bleiben. Lesen Sie auch Kreismusikschule Nordwestmecklenburg gibt Online-Kurse - so geht es Nach Corona-Ausbruch: Pflegekräfte in Wismarer Altenheim erheben schwere Vorwürfe MV Werften Wismar: So weit sind die Arbeiten an der „Global 1“ schon fortgeschritten Auch dort gab es Kritik von Eltern. Unter anderem hat sich ein Vater von zwei Schulkindern an die OSTSEE-ZEITUNG gewandt. Er versteht, dass die Klasse des Kindes in Quarantäne geschickt wurde. Aber: An der Schule existiere ein Hygienekonzept mit Einbahnstraßen, Desinfektion und Mundschutz. Zudem hätten seine Kinder null Kontakt zu dieser Person. „Weder im Schulgebäude noch auf dem Pausenhof, noch im Bus oder im Hort“, sagte er und ergänzte: „Die Kinder leiden schon genug an der derzeitigen Situation und dürfen nicht einmal in den Ferien vor die Tür“, ärgerte sich der Vater, der im medizinischen Bereich tätig ist. Er betonte: „Wir sind keine Corona-Leugner, halten fast alle Maßnahmen für sinnvoll und uns strikt an die Vorschriften, aber das geht zu weit. Die Kinder haben seit Monaten kein normales Leben mehr.“ Enkelkind regelmäßig betreut: Auch Manfred Lietzow hatte sich als besorgter Großvater an die OZ gewandt. Seine Enkelin besucht die Fritz-Reuter-Schule. „Wir haben unsere Enkelin bereits ein Vierteljahr bei uns im Homeschooling gehabt, da unsere Tochter in Wismar alleinerziehend ist. Außerdem betreuen wir sie einmal wöchentlich, wenn unsere Tochter abends Dienst hat“, berichtet der Sozialpädagoge und Stadtjugendpfleger a. D. Er verstehe nicht, warum wegen eines coronaverdächtigen Kindes, das mit Maske auf dem Schulhof war, gleich die ganze Schule unter Quarantäne gesetzt wird. Das spreche trotz aller begründeten Ängste nicht von einem überlegten pädagogischen Handeln zum Wohle aller Kinder. Seine Tochter musste extra Urlaub nehmen, damit die Enkelin nicht allein zu Hause ist. Der Kreis betont, dass Quarantäne für ganze Klassenzüge das letzte Mittel ist und nicht leichtfertig ausgesprochen wird. Berücksichtigt bei der Entscheidung würden das Hygienekonzept der Schule und ob Kontaktkohorten gebildet wurden, wie die Wege in der Schule sind, ob in allen Bereichen Masken getragen werden, die Länge der Pausen und ob diese zeitversetzt oder auch räumlich getrennt stattfinden. Außerdem sei bei einem sehr kontaktfreudigen Kind der Kreis der möglichen Kontaktpersonen sehr viel größer als bei einer Lehrkraft, die durchgehend Maske getragen hat. Großvater: Anordnung zurücknehmen: Im Fall der Reuter-Schule hatten sich mehrere Betroffene an den Kreis gewandt. Denn: „Nicht alle Eltern könnten jedes Mal, wenn es einen positiven Fall an der Schule gibt, wochenlang zu Hause bleiben, um sich um ihre Kinder zu kümmern“, so der Vater der zwei Schulkinder. Am Montagnachmittag gab es eine Reaktion: Nun gilt die Quarantäne-Anordnung nur noch für die Klasse des infizierten Kindes sowie wie alle, die sich mit dem Kind im Hort aufgehalten haben. „Die anderen Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte unterliegen hingegen ausschließlich einer intensivierten Symptomkontrolle“, heißt es in der geänderten Anordnung. Das Gesundheitsamt bemühe sich zunehmend, Quarantänen auch nach der ersten Anordnung im weiteren Verlauf noch „nachzuschärfen“. Dies sei aber nicht in allen Einrichtungen der Fall, oft können Kontakte aufgrund er räumlichen Gegebenheiten nicht ausgeschlossen werden. Wenn innerhalb der Quarantäne weitere Fälle bei Personen aus der Kontaktkohorte auftreten, seien in der Regel keine Lockerungen möglich. Quarantäne-Verkürzungen gestalten sich außerdem zunehmend schwierig: Diese sind bei der „britischen“ Virusmutation B.1.1.7. grundsätzlich nicht möglich. Von Kerstin Schröder