Land schickt Azubis auf die Reise

Schlechte Nachrichten für angehende Friseure in Nordwestmecklenburg: Geht es nach dem Bildungsministerium, soll der Ausbildungsstandort in Wismar geschlossen werden. Die Azubis sollen für den schulischen Part künftig nach Schwerin fahren. „Das wird potenzielle Nachwuchskräfte abschrecken“, ist Friseurobermeister Jörg Zecher, Inhaber der Filiale „Fristyler“ in Wismar, sicher. „Azubis in unserem Beruf verdienen sowieso schon wenig und nun sollen sie von diesem Gehalt auch noch die Fahrtkosten bezahlen?“ Für Zecher, der auch im Landesinnungsverband aktiv ist, unverständlich. „Weite Wege führen zu Ausbildungshemmnissen und -abbrüchen“, bestätigt auch Gudrun Sturmheit, Fachdienstleiterin im Landkreis für Bildung und Kultur. „Deshalb ist es für unseren Landkreis ganz wichtig, dass der Standort in Wismar erhalten bleibt.“ Und das ist nur ein Teil, der geplanten Umstrukturierung. Der demografische Wandel ist ausschlaggebend: Landesweit sollen Klassen zusammengelegt, Fachbereiche gekürzt und Standorte dadurch ausgedünnt werden. Gab es im Schuljahr 1999/2000 noch 70 000 Berufsschüler in MV, sind es in diesem Jahr nur 29000. Auch im Wismarer Berufsschulzentrum Nord macht sich das bemerkbar. Unterrichteten 2006 noch 130 Lehrer 4600 Schüler, sind es in diesem Jahr 65 Lehrer bei 1625 Auszubildenden. Auf die Veränderungen reagiert das Land — jedoch nicht im Einklang mit den restlichen Beteiligten. Im Februar dieses Jahres lud das Bildungsministerium alle Beteiligten — die Schulen, die Wirtschaft, die Innungen, die Kommunen — nach Schwerin zu einer Diskussionsrunde ein, die nach OZ-Informationen nicht einvernehmlich endete. Im April stellte das Land die Schulleiter der 25 Standorte vor vollendete Tatsachen. Und das, obwohl die Planungen für das kommende Schuljahr zu dem Zeitpunkt bereits abgeschlossen, Lehrer eingeteilt und Ausbildungsverträge unterschrieben waren. „Die ganze Thematik wurde nicht ausreichend diskutiert und die Betriebe überhaupt nicht informiert“, bemängelt Jörg Zecher. Mit dem Landesinnungsverband habe er extra Programme angeschoben, um für den Friseurberuf weitere Auszubildende zu gewinnen. „Gerade wir Frisöre kämpfen in diesem Jahr noch mit der Einführung des Mindestlohns“, erklärt er. „Doch das pegelt sich ein und dann wird es mehr Ausbildungsstellen geben.“ Weitere Fahrtwege erwarten im neuen Schuljahr auch die Landwirtschafts- und Gartenbauhelfer, sogenannte Werkerberufe. Während die Grundberufe weiterhin in Wismar ausgebildet werden, sollen die Helferberufe nach Greifswald ausgelagert werden. „Das kann nicht sein!“, sagt Gudrun Sturmheit. Jugendliche, die solch eine Ausbildung beginnen, bekommen vom Gesundheitsamt bestätigt, dass sie in irgendeiner Weise benachteiligt sind. „Und diese jungen Menschen, die speziell gefördert werden müssen, sollen durch das halbe Land fahren?“ Das Bildungsministerium reagiert auch hier, indem die Zuschüsse der Fahrtkosten für Lehrlinge von 100000 auf 350000 Euro erhöht werden sollen. „Von dem bisherigen Geld für die Azubis wurden im Jahr 2014 aber gerade mal 441,34 Euro ausgegeben“, sagt Antje Lange von der Kreishandwerkerschaft. Die Formalien und Hürden seien zu groß. „Der Ansatz des Bildungsministeriums ist und bleibt weiterhin ungerecht und verstößt gegen das Prinzip der Gleichbehandlung“, sagt die Geschäftsführerin. Gemeinsam mit neun weiteren Beteiligten, darunter Bürgermeister Thomas Beyer (SPD), Landrätin Kerstin Weiss (SPD) und Landtagsabgeordnete Simone Oldenburg (Die Linke), hat sie ein Schreiben an Bildungsminister Mathias Brodkorb (SPD) losgeschickt. „Wir sind empört, dass wir bei der Planung überhaupt nicht einbezogen wurden“, erklärt Lange. Auf der Kippe stand in Wismar auch die Ausbildungen im Holzcluster, also Holzbearbeitungsmechaniker, Tischler und Holzmechaniker. Die Azubis sollten nach Hagenow bei Ludwigslust fahren, der Landkreis machte Lärm. „Die Holzberufe haben Tradition in der Hansestadt“, sagt Gudrun Sturmheit. Zudem habe der Kreis als Träger der Schule in den Standort mit modernster Technik investiert. Eine Verlegung der Holztechnik ist auch für Tilo Gundlack (SPD), Präsident der Wismarer Bürgerschaft, unvorstellbar. „Deshalb habe ich mich persönlich dafür stark gemacht, dass die drei Ausbildungsberufe vorerst in Wismar bleiben.“ Für ihn selbstverständlich: „Wismar spielt eine wichtige Rolle im Landkreis. Für mich stellt sich die Standortfrage gar nicht.“ Trotz dieses Erfolgs ist weiter Ausdauer gefragt. Nächste Woche wird Gundlack mit Jörg Zecher bei Brodkorb vorsprechen. Kampflos geben sie die Friseure jedenfalls nicht auf. Man lernt nie aus! Der demografische Wandel trägt die Schuld an vielem. Soweit, so klar. Doch was das Schweriner Bildungsminsterium derzeit mit den Berufsschulen plant, ist alles andere als klar. Natürlich wird es immer einige Auszubildende geben, die in einem Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern in den sauren Apfel beißen müssen. Aber muss dieser so sauer sein? Ein Beispiel: Die Berufsschule Technik in Rostock soll künftig nach Waren verlegt werden. Dass heißt, ein Tischler aus der Hansestadt und deren Landkreis — beispielsweise aus Rerik oder Neubukow — muss künftig für seine Berufsschultage an die Mecklenburgische Seenplatte fahren. Und das obwohl im nicht einmal 30 Kilometer entfernten Wismar ebenfalls Tischler ausgebildet werden. Ein Blick über den Schreibtischrand hinaus wäre emfpehlenswert. Der Landkreis Nordwestmecklenburg, die Hansestadt Wismar, die Ausbilungsunternehmen und die Innungen ziehen an einem Strang und versuchen alle Hebel für die Auszubildenden in Bewegung zu setzen. Nun liegt es am Land, auf die Einwände derer einzugehen, die den engeren Draht zu den Auszubildenden haben, statt Änderungen im Schnelldurchgang durchzupeitschen! Man lernt nunmal nie aus, auch nicht als Minister. Vanessa Kopp

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