„Laufspuren“ eines Visionärs

„Du bist das Gesicht der künstlerischen Seite der Hochschule“, sagt Bürgermeister Thomas Beyer. Das freundschaftliche Du, die intensive Rede und die anschließende Umarmung gelten Valentin Rothmaler. Er eröffnete am Freitagabend seine Ausstellung „Laufspuren“ in der städtischen Galerie im Baumhaus am Alten Hafen. 23 Jahre lang unterrichtete Rothmaler an der Wismarer Hochschule, gehörte zu den ersten Professoren des Studiengangs Architektur. „Wenn meine Fakultät und meine Studenten mich nicht verabschieden, verabschiede ich mich selber“, sagt der Künstler selbstbewusst, sicherlich auch etwas bedrückt. Die Kollegen genauso wie die Studenten fehlen zur Eröffnung — es sind noch Semesterferien. Eine Abschiedsausstellung, auch wenn der Bürgermeister wie viele andere hofft, dass Rothmaler der Stadt die Treue hält. „Der Ausstellungstitel hat zwei Bedeutungen“, erklärt Rothmaler zu den konzeptionellen Arbeiten. „Laufspuren“ als das, was er nach 21 Jahren in Wismar hinterlässt. Es ist mehr als die Abschiedsausstellung im Baumhaus mit den zwölf quadratischen Bildern, Kantenlänge 65 Zentimeter. So alt wurde Rothmaler Anfang des Jahres. Eine reduzierte Ausstellung. Die Bilder haben Platz zum Wirken, der Betrachter hat den Platz, davor zu stehen. Alle Bilder sind nicht malend entstanden, sondern durch die sehr kontrolliert fließende Farbe. Mit einem kleinen Pinsel oder der Spritzflasche hat Rothmaler die Farbe auf den Keilrahmenrand aufgetragen. „Ich setze oben an und sie läuft runter“, erläutert der Künstler. Viermal dreht er die Leinwand. Mithilfe der Schwerkraft entstehen die geometrischen Muster, abgewandelt durch die verschiedenen Farben und dadurch, wie sich die Laufspuren an sich unterscheiden, sich überlagern und lasieren. Die Farbe, so Rothmalers künstlerischer Ansatz, lässt Raum entstehen. Die Titel zu den Bildern entstehen, wenn der Künstler merkt, das Bild ist fertig. Sie heißen „Strahlender Morgen“ oder „Abendlicht über dem Friedenshof“ — „Genau diese Stimmung ist da!“ Die Lichtstimmung des „Aufziehenden Gewitters über der Bucht“, kennt er genau — zehn Jahre lang hat er im Baumhaus über der Galerie gearbeitet und gelebt. Ein Bild heißt „Küchenhandtuch“, das Karomuster ist universell. Auch moderne Kunst verträgt Humor. Die Bilder Rothmalers sind der Beweis dafür, dass Kunst nichts mit dem einfach zu verdauendem Sonnenuntergangsbild zu tun haben muss, soll, darf. Keine Kopie der Wirklichkeit sein muss, soll, darf. Der Anspruch an Kunst darf höher sein, auch an den Betrachter. „Die Bilder sind mutig. Es ist eine interessante Erfahrung, sie anzuschauen, man braucht länger“, fast es Galeristin Kristine Hamann als Ausstellungsgast zusammen. Ihre Erfahrung: wenn man sich vor dem Bild leicht bewegt, passiert etwas. Ob ein Sonnenuntergangsbild solch eine interessante Erfahrung hervorrufen kann? „Ich hätte nicht lehren können, wenn ich nicht selbst künstlerisch tätig gewesen wäre“, erklärt Rothmaler diesen Mut zum Experiment. „Wenn ich nicht selbst im künstlerischen Schaffensprozess stehen würde, der auch das Scheitern einschließt und diesen Prozess des ständigen Ringens einschließt, hätte ich das nicht von meinen Studenten verlangen können. Das sind keine Mathematiker, wo das Ergebnis eindeutig richtig oder falsch ist. Kunst ist nichts, was man formell messen kann. Messen kann man sie durch Erfahrung, dazu braucht man die eigene künstlerische Tätigkeit.“ Die Ausstellung „Laufspuren“ ist bis 20. September im Baumhaus am Alten Hafen zu sehen, täglich von 9 bis 17 Uhr bei freiem Eintritt. Nicole Hollatz

Wismar - „Laufspuren“ eines Visionärs