Letzter Auftritt der Wismarer Danzlüd

Tränen flossen, Blumen flogen von der Bühne. Der Song von Unheilig „Zeit zu gehen“ erfüllte wie eine maßgeschneiderte Abschiedshymne den Theatersaal. Tänzerinnen und Tänzer umarmten sich, lachten, weinten und winkten ihrem Publikum ein letztes Mal zu. Stehend spendeten mehr als 400 Menschen minutenlang dankbar Beifall. Dann schloss sich der letzte Vorhang. Die Ära der „Wismarer Danzlüd“ ist damit nach fast 65 Jahren zu Ende. Auch das Internationale Cioff-Festival, das seit 1993 alle zwei Jahre Musiker und Tänzer von allen Kontinenten nach Wismar brachte, wird in diesem Jahr nicht mehr stattfinden. Anfragen rund um den Globus wurden abgesagt. Nach dem Tod von Ensemble-Leiter Wolfgang Voss im April 2014 hat sich kein Nachfolger gefunden. Das Aus für die „Danzlüd ut Wismer“. Schätzungsweise über drei Millionen Menschen in 20 Ländern haben in den vergangenen sechs Jahrzehnten das Wirken dieses hochkarätigen Folkloreensembles der Hansestadt gesehen, das untrennbar mit dem Lebenswerk von Wolfgang und Rosemarie Voss verbunden ist. Auf einer großen Abschiedsgala am Sonnabend im Wismarer Theater hat die Truppe noch einmal alles gegeben. Zum Finale zeigten sie unter anderem jenen Tanz, mit dem sie international berühmt geworden sind: den „Ernteheimweg“. Schweiß und Tränen flossen bereits in der Nachmittagsvorstellung. „Es ist hart“, sagte Jan Voss. „Wir hatten sogar kurzzeitig in Erwägung gezogen, einfach alles abzusagen, weil uns dieser Abschied doch sehr mitnimmt.“ Doch viel zu viele Freunde und Gratulanten hatten sich auf und hinter der Bühne angesagt. Die Gala war in wenigen Tagen ausverkauft. Mit dabei waren Moderator Norbert Bosse, das Blasorchester der Kreismusikschule „Carl Orff“, die Turner und Akrobaten der TSG Wismar, der Chor „Zeitlos“, Maaten der Niederdeutschen Bühne sowie das Musikerduo „Die Kompromisten“. Sie alles verbindet eine langjährige Freundschaft mit den Danzlüd. „Ich bin seit 20 Jahren bei den Danzlüd“, erzählte Julia Winkler. „Der Verein hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin“, so die 24-Jährige und sie fuhr fort: „Ich habe hier viele Freunde gefunden. Das war wie ein sicherer Hafen.“ Karoline Zocher (23) bestätigte: „Es wird eine große Leere entstehen.“ Auch Kathrin Pissarek, eine Voss-Tochter, musste am Sonnabend in der Künstlergarderobe immer wieder Wimperntusche nachlegen. „Der Abschied fällt schwer“, so die 53-jährige langjährige Tänzerin. „Ich habe mit den Danzlüd die schönsten Jahre meiner Jugend verbracht“, erinnerte sie sich, bevor es ihr den Hals zuschnürte und sie nicht weitersprechen konnte. Zum letzten Mal steigt sie an diesem Abend wie alle Ensemblemitglieder in die Tanzschuhe. „Wir sind zutiefst dankbar“, sagte Bürgermeister Thomas Beyer (SPD) in der einzigen Rede des Abends. „Das Ehepaar Voss hat mehrere Generationen an den Volkstanz herangeführt.“ Lisa Kuss, deren Bruder Hannes Draehmpael 1950 mit Wolfgang Voss die Tanzgruppe an der Geschwister-Scholl-Oberschule gründete, sagte während ihres Auftritts mit Ehemann Willi Kuss und Marianne Zachow: „Die Danzlüd werden in unseren Herzen immer weiter tanzen.“ Neben Dankbarkeit für das unermüdliche Herzblut der Danzlüd gab es auch kritische Worte zum Abschied. Bei Holger Hurtig, Präsident des Tanzverbandes Mecklenburg-Vorpommern, mischte sich Zorn in die Traurigkeit. „Es ist schade, dass der kulturelle Abbau immer weiter voranschreitet“, machte er sich nach der Veranstaltung Luft. „Immer mangelt es an Geld. So ein Ensemble kann aus eigener Kraft kaum überleben. Hätte es der Stadt wirklich am Herzen gelegen, hätte man vor Jahren schon entsprechend aufeinander zugehen müssen“, betonte der Leiter vom Folkloreensemble „Richard Wossidlo“ in Ribnitz-Damgarten. Dorthin gehen jetzt übrigens alle Kostüme und Requisiten der Danzlüd ut Wismer. Aus der Geschichte 1950 an der Geschwister-Scholl-Oberschule in Wismar wird aus der Not heraus ein Tanzensemble gegründet. Der Chor der Schule sollte zur Landesmeisterschaft — aber nicht ohne Tanzgruppe. Hannes Draehmpaehl hatte die Tänzer so gut trainiert, dass sie auf Anhieb Landesmeister wurden. Aus der Volkstanzgruppe entwickelte sich das überregional bekannte „Philipp-Müller-Ensemble“ und daraus unter der Leitung von Wolfgang Voß wiederum das Folklore-Ensemble der Werft. 1982 wurde Wolfgang Voß in Wismar zum Stadtrat für Kultur berufen und zeigte sein Organisations- und Improvisationstalent. 1989 die Wende bringt eine Zäsur. Sorgen ums Geld und um Auftritte mussten sich die Wismarer Tänzer in der DDR nie machen. Es waren auch immer genug Tänzer da. Doch nun? Von zwölf Männern in der Hauptgruppe waren plötzlich nur noch sechs da. Doch Wolfgang und Rosemarie Voß machen weiter. Nennen die Gruppe um in „Danzlüd ut Wismer“. 1993 werden die „Danzlüd“ ordentliches Mitglied der Deutschland-Sektion der Unesco-Organisation Conseil International des Organisations des Festivals des Folklore es d‘Arts — kurz Cioff. Die alle zwei Jahre stattfindenden internationalen Tanzfestivals machen Wismar weltweit bekannt. 2014 stirbt Wolfgang Voß am 13. April im Alter von 78 Jahren nach schwerer Krankheit. Am 31. Januar 2015 öffnet sich der Vorhang für die „Danzlüd ut Wismer“ im neuen Theater nach fast 65 Jahren zum letzten Mal. Ina Schwarz

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