„Singende Fischstäbchen“ tragen Botschaft in die Welt

Wenn Marlies Ernesto am Schlagzeug sitzt, geht es ihr gut. „Ich kann dann einfach alle Probleme ausblenden“, erzählt die 53-Jährige. „Musik ist für mich ein Filter für alle meine Lebensschwierigkeiten.“ Seit vier Jahren verpasst die Wismarerin deshalb kaum eine Probe. Sie gehört zur Stammbesetzung der „Singenden klingenden Fischstäbchen“ — eine flotte Musikgruppe in der Tagesstätte vom Verein „Das Boot“. Hier kümmern sich Therapeuten und Pädagogen um die Förderung seelischer Gesundheit und Integration psychisch kranker Menschen. Tagesstättenleiter Stefan Koch ist Ergotherapeut und Musiker. In seiner Freizeit spielt er sämtliche Gitarren in der Wismarer Kult-Band „Sabine Fischmarkt“. Der 41-Jährige weiß um die „heilende Kraft“ des gemeinsamen Musizierens und machte den Tagesstätten-Besuchern vom „Boot“ vor einigen Jahren das Angebot einer offenen Musikgruppe. Das schlug ein. Es war die Geburtsstunde der „Singenden klingenden Fischstäbchen“. Was für eine Name?! „Maritim und humorvoll“, kommentiert Stefan Koch den Band-Namen schmunzelnd. „Es war zur Weihnachtszeit und irgendwie sprachen wir vom singenden, klingenden Bäumchen, irgendwer warf die Fischstäbchen dazu — und das war‘s dann mit dem Namen“, erklärt der Boot-Käpt‘n. Für die Proben-Arbeit stellen er und seine Mitarbeiter übrigens auch private Instrumente zur Verfügung. Seit zwei Jahren ist auch Lothar Niebuhr ein „Fischstäbchen“-Mitglied. „Für mich war es erst eine Überwindung“, gibt der 58-Jährige zu. „Vor allem die Auftritte. Mich öffentlich zu zeigen, war so gar nicht mein Ding.“ Heute hat Lothar Niebuhr vor allem Freude. Er genießt die Gemeinschaft. Die Texte kann er fast alle auswendig. „Auch das ist für unsere Tagesstätten-Besucher ein gutes Training“, so Stefan Koch. „Bei uns kann jeder etwas einbringen“, erklärt er. Die „Fischstäbchen“ suchen die Songs gemeinsam aus. Johnny Cash, Rio Reiser, Sportfreunde Stiller, Udo Lindenberg — es ist alles dabei. „Wir machen hier keine professionelle Band-Musik“, sagt Stefan Koch. „Und doch bringen wir mit unseren Liedern auch eine gewisse Botschaft rüber“, erläutert der Therapeut. So waren die „Fischstäbchen“ Ende Januar Gast bei der großen Gedenkfeier der Opfer der Euthanasie in der Nazi-Zeit, die mit vielen Gästen im Wismarer Rathaus stattfand. Und wenn sie dann gemeinsam auf der Bühne stehen und den Sportfreunde Stiller-Song „New York, Rio, Rosenheim“ auf ihre Weise interpretieren, ist Gänsehaut garantiert. Darin heißt es: „Die Welt ist groß genug, wir sind nicht allein, zündet ein Leuchtsignal, in New York, Rio, Rosenheim.“ „Es gibt gesellschaftlich immer noch große Vorurteile gegenüber Menschen mit psychischen Problemen“, weiß Stefan Koch. „Bei uns treffen Menschen auf einen geschützten Raum. Die Musik stärkt ihr Selbstvertrauen, macht sie stärker. Diese Menschen haben etwas zu sagen. Und wenn wir dann von draußen noch Applaus bekommen, ist das Lob und Anerkennung, die alle genießen.“ Ina Schwarz

Wismar - „Singende Fischstäbchen“ tragen Botschaft in die Welt