So früh waren die Störche noch nie zurück in Krassow bei Wismar

Der Blick von Hilke und Michael Kleiner geht jetzt wieder öfter nach oben. Zu ihrem Storchennest im Garten. Seit vier Wochen ist es bewohnt. „In den letzten dreißig Jahren hatten wir hier immer ein Storchenpaar“, erzählen die Eheleute. 1986 stellten sie die Nisthilfe auf. Die Störche fühlen sich wohl in Krassow. Das Männchen kam am 21. Februar, ein Tag später das Weibchen. „So früh waren sie noch nie zurück“, berichtet Hilke Kleiner. Die 74-Jährige hat sich die wichtigsten Daten notiert. In der Regel kamen die Störche Anfang bis Mitte April aus ihrem Winterquartier im warmen Süden zurück. Im Jahr 2017 waren sie bislang am frühesten da, am 1. März. Schon Eier im Nest: „Am Verhalten können wir deuten, dass es das Storchenpaar aus dem vergangenen Jahr ist“, sagt Michael Kleiner. Die Vögel sind noch nicht mit dem Nestbau fertig. Immer wieder fliegt einer von beiden davon, holt Halme oder weiches Material zum Polstern. „Es sind schon Eier im Nest. Deshalb bleibt immer einer da“, erklärt der 76-Jährige. Früher haben die Eheleute Storchenkämpfe auf ihrem Horst erlebt. Bis in die Nacht hinein und bis einer der Rivalen blutete. 1998 wurde durch solch ein Gerangel sogar das Gelege zerstört. „Das Paar duldet keinen anderen Storch hier“, sagt Michael Kleiner. „Aber seit etwa fünfzehn Jahren gibt es keinen Streit mehr. Die Zahl der Störche in der Region ist so weit zurückgegangen. Das ist ein gewaltiger Verlust.“ Zahl der Brutpaare drastisch zurückgegangen: Nach seinen Informationen gab es im vergangenen Jahr 28 Brutpaare in Nordwestmecklenburg. Mitte der 1990er-Jahre waren es laut Naturschutzbund MV noch etwa 95 Weißstorchpaare. „Jedes kleine Dorf hier im Umkreis hatte früher sein Storchenpaar. Es ist erschreckend, wie die Storchenpopulation dermaßen zurückgegangen ist.“ Gründe dafür sehen die Eheleute in der Landwirtschaft. „In Mais- und Rapsfelder fliegen die Störche nicht rein, da können sie nicht landen. Und die Freilandhaltung von Kühen wurde stark reduziert.“ Die Krassower seien in der glücklichen Lage, einige Pferde- und Rinderhalter im Dorf zu haben. Es gibt etliche kleine Flächen, Wiesen und Weiden, wo die Störche ausreichend Futter finden. „Unsere Störche erleben hier Sicherheit“, sagt Michael Kleiner. Alle paar Jahre Nest leer räumen: Dazu gehört auch, dass er sich als Storchenvater regelmäßig um den Horst kümmert. Mithilfe von Mitgliedern der freiwilligen Feuerwehr und ihrem Hubarm holt er alle sechs bis acht Jahre das Nest vom neun Meter hohen Mast. „In dieser Zeit ist das Nest angewachsen. Denn das Storchenpaar schichtet jedes Jahr neues Material auf, aber unten verwittert es und wird instabil. Durch die Eigenlast kann es dann vom Horst abkippen.“ Deshalb wird das Nest leer gemacht. Zwölf Schubkarren mit reinem Humusboden, Gestrüpp, Lumpen und Folie – all dies verbauen die Störche – kommen da zusammen. „Die Folie ist eine Gefahr für die Jungstörche“, sagt Michael Kleiner. „Sie lässt in der Nestmulde das Wasser nicht ablaufen, so dass die Jungen unterkühlen und sterben.“ Vogelbeobachtungen als Erlebnisse: Für den Rentner ist es selbstverständlich, seinen Störchen zu helfen. „Ein Vogel, der so dicht am Menschen lebt, sollte unterstützt werden“, sagt er. Für die Mühen, die Familie Storch den Eheleuten bereitet, werden sie mit tollen Erlebnissen belohnt. Etwa wenn die Jungen so groß sind, dass der Alte zum Schlafen in den Zweithorst im Garten auszieht. Oder wenn die Jungstörche erste Flugversuche unternehmen und mit den Flügeln schlagen. Fällt dabei einer aus dem Nest, muss wieder die Feuerwehr kommen und ihn hinaufbringen. Beobachtungen auf der Koppel hinterm Gartenzaun, wie die Jungstörche von ihren Eltern zuerst noch gefüttert werden und sich dann abschauen, was sie fressen können. „Am Schlucken sehen wir, dass sie genug finden“, sagt Michael Kleiner. Anderenfalls kauft er Heringe, um zuzufüttern. „Wir trinken gerne Kaffee im Freien, auch mit Freunden und Bekannten, und schauen dann den Störchen zu“, erzählt Hilke Kleiner. „Oft werden wir gefragt: Was machen die Störche? Das Dorf nimmt Anteil.“ Auch Autofahrer, die durch Krassow kommen, halten an, um die stolzen Vögel zu sehen. In der Regel drei Jungstörche: Jetzt sind die Storcheneltern gespannt, wie viel Nachwuchs es in diesem Jahr gibt. Im Schnitt sind es drei Junge, letztes Jahr waren es vier. Auch darüber führt Hilke Kleiner Buch. Im Jahr 2000 haben sie ein Junges groß gezogen. „Da kam das Storchenpaar erst im Mai und machte sich Mitte August schon wieder auf gen Süden. Das Junge wurde zurückgelassen. Es hat sich ganz schnell an uns gewöhnt und uns Regenwürmer aus der Hand gefressen.“ Adebar fühlt sich eben wohl hier in Krassow bei Familie Kleiner. Lesen Sie auch: Bestand der Störche in Nordwestmecklenburg bricht massiv ein Störche sind zurück: In Gamehl bei Wismar klappert’s wieder Tierheim Dorf Mecklenburg: Dieser Hund hat noch nie ein richtiges Zuhause gehabt Über die Autorin Von Haike Werfel