Tarzow bei Wismar: Nach Kiestagebau riesige Deponie im Wald geplant

Im Kiessandtagebau nahe Tarzow, einem Ortsteil der Gemeinde Lübow (Nordwestmecklenburg), soll eine Deponie für unbelastete Erden entstehen. Die Otto Dörner Kies und Umwelt Mecklenburg GmbH & Co.KG will sie errichten und betreiben. Dagegen regt sich Widerstand. Anwohner aus den anliegenden Gemeinden Lübow, Jesendorf und Ventschow haben große Bedenken zu diesem Bauvorhaben. Sie sehen den Naturschutz und ihre Lebensqualität beeinträchtigt. Unternehmen plant riesige Deponie: Fast 15 Hektar soll die Deponie umfassen. Dazu will das Unternehmen nicht nur das Kieswerk Tarzow 1 nutzen, sondern auch eine angrenzende Ackerbrachfläche und eine intensiv landwirtschaftlich genutzte Fläche. Die Kapazität wird mit 1,5 Millionen Kubikmeter angegeben. Jährlich sollen rund 50 000 Kubikmeter unbelastete Erden auf die Deponie gebracht werden. Die vorhandene Infrastruktur des Kiessandtagebaus wie Verkehrswege, Büro- und Aufenthaltscontainer sowie sanitäre Anlagen würden laut Unternehmen weitergenutzt. Statt Umweltverträglichkeitsprüfung belässt es Stalu bei Vorprüfung: Das Staatliche Amt für Landwirtschaft und Umwelt (Stalu) Westmecklenburg als Genehmigungsbehörde führte eine Vorprüfung durch. „Danach sind von dem Vorhaben keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen zu erwarten“, heißt es in der öffentlichen Bekanntmachung. „Eine Umweltverträglichkeitsprüfung ist daher nicht erforderlich.“ Die Behörde habe die potenziellen Auswirkungen in Bezug auf die Schutzgüter Boden, Wasser, Tiere und Pflanzen sowie gesetzlich geschützte Biotope geprüft. Sie schätzt sie als nicht erheblich ein, heißt es, weil Ausmaß, Schwere und Komplexität der potenziellen Umweltauswirkungen beim Bau und Betrieb der Deponie gering seien. Zudem plane das Unternehmen wirksame emissionsmindernde Maßnahmen. Auch die Vorgaben zur Rekultivierung würden dazu führen, dass die Umweltauswirkungen in Bezug auf Grundwassereinleitungen, Tiere, Pflanzen und Biotope nicht dauerhaft bestehen bleiben. „Potenziell erhebliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit sind nach Auswertung der vorgelegten Unterlagen zu Staub und Lärm nicht ersichtlich“, informiert die Behörde. Lesen Sie auch Wegen Brückenbau: Landesstraße 12 in Salzhaffregion acht Monate gesperrt Mehr als 800 Nordwestmecklenburger mit Astrazeneca am Ostermontag geimpft Wismar: Corona-Testzentrum ist umgezogen – so bekommt man einen Termin Kritiker: Geografische Lage der Deponie problematisch: Das sehen Gemeindevertreter und Einwohner in den drei betroffenen Gemeinden anders. Sie bewerten schon die Lage der geplanten Deponie, umgeben von Wäldern und ans Tarzower Moor angrenzend, als problematisch. „Die abgelegene Lage im naturnahen Bereich und die Zuwegung über mehrere Kilometer Wald- und Wiesenwege sprechen gegen die Wahl des Standortes“, erklärt André Gieseler, der sich in der Wählergemeinschaft der Gemeinde Jesendorf engagiert. Landschaft und Tiere werden erheblich beeinträchtigt: Die angrenzenden Moor-, Heide-, Trockenwiesen-, Wiesen- und Waldlandschaften werden durch den Transport und den Betrieb der Deponie, die voraussichtlich 30 Jahre, bestehen soll, massiv gestört. Die Landschaften dienen der heimischen Tierwelt als Brut- und Lebensraum. Hier könne man unter anderem Seeadler, Milane, Kraniche, Heideschnecken und viele weitere Wildtiere beobachten. Das Gebiet sei ein beliebter Ort für Ornithologen und Pilzexperten aus der gesamten Region. „Gleiches gilt für die bereits renaturierten Bereiche des Tagebaus, die erneut zerstört werden. Die Zufahrt von der Landesstraße 101 über Wald- und Wiesenwege dient nicht dem Schutz der heimischen Flora und Fauna“, erklären die Kritiker. Sie verweisen außerdem auf ein angrenzendes Hügelgrab, das auf historische Besiedlungsspuren deutet. Ausgrabungen im Zuge des Baus der A 14 und der Kiestagebaue brachten in der Vergangenheit weitere Besiedlungsspuren, unter anderem aus der Bronzezeit, hervor. Diese würden bei Ausweitung des Geländes ohne Beauflagung weiter zerstört. Bauingenieur sieht durch Grundwassernähe Durchbruchgefahr: Kritisch zu bewerten sei der Standort der Deponie auch, weil sie in einer Senke entstehen soll. „Die Entwässerung wird im Zuge des Aufbaus über das Deponiegelände über das Tarzower Moor stattfinden. Die Ablagerung soll auf einem bis auf Grundwasserniveau ausgekiesten Tagebau auf einer fachgerechten Abdichtung aus bündigem Boden erfolgen. Eine weitere Verdrückung des Untergrundes durch Auflast der Deponie ist zu erwarten“, erklärt André Gieseler, von Beruf Bauingenieur. „Die Gefahr eines Durchbruches wird durch die Grundwassernähe signifikant erhöht. Dies hätte eine dauerhafte Zerstörung der oben genannten Abdichtung zur Folge. Die negativen Einflüsse auf die umliegende Umwelt sind aus unserer Sicht schwer zu kalkulieren.“ Deponie nimmt Einwohnern den Naherholungsraum: Der Naherholungsraum östlich der Autobahn 14 ist für die Jesendorfer und Tarzower Einwohner der letzte verbleibende Naturraum mit geringem Lärmpegel. Das dauerhafte Abschneiden historischer Hohlwege vermeidet obendrein die touristische Entwicklung der Gemeinden. Das Kieswerk Tarzow 1 liegt an einem historischen Knotenpunkt zwischen Viecheln, Moltow, Tarzow, Ventschow, Schimm, Neperstorf und Jesendorf. Die Gemeinde Jesendorf entwickelt ein Projekt mit dem Namen „Wandeln auf historischen Pfaden“. Sie will die Hohlwege wiederherstellen und beschildern, so dass sie die Ortsteile fernab der Asphaltpisten miteinander verbinden. Spaziergänger, Radfahrer und Pferdefuhrwerke sollen sie künftig nutzen. Allein durch ihre geographische Lage steht die geplante Deponie in Konflikt mit diesem Projekt. Lebensqualität schon durch Autobahn 14 beeinträchtigt: Sie stellt eine weitere 30-jährige Beeinträchtigung der Lebensqualität der Einwohner der angrenzenden Gemeinden dar. „Wir haben durch den Bau und den Betrieb der Autobahn 14 und der großen Anzahl der Kiestagebaue schon einen hohen Preis an die Allgemeinheit gezahlt“, erklären die Deponiegegner. Sie sehen zusätzliche Lärm- und Staubemissionen durch den Betrieb und Transport auf und zu einer Deponie an diesem Standort sehr kritisch. Renaturierung nach Kiestagebau verzögert sich: Grundsätzlich unterliegt das Kieswerk Tarzow 1 aktuell dem Bergrecht, mit der Auflage einer Renaturierung nach Ablauf der Schürfrechte. Der Abbau im Tagebau erfolgt nun seit annähernd 30 Jahren, das Bergrecht läuft aus und die Rekultivierung steht unmittelbar bevor. Die Errichtung einer Deponie für weitere 30 Jahre würde die Renaturierung maßgeblich verzögern. Aus Sicht der betroffenen Gemeinden sollten privatwirtschaftliche Interessen nicht über das Allgemeinwohl gestellt werden. Am 14. März haben Anwohner auf der Onlineplattform SumOfUs eine Petition an das Staatliche Amt für Landwirtschaft und Umwelt Westmecklenburg gestartet. Sie lautet: „Deponie am Tarzower Moor? Wir fordern die Renaturierung des Tagebaus Tarzow 1!“ und soll den Rückhalt in den Gemeinden Ventschow, Lübow und Jesendorf demonstrieren. Die Laufzeit beträgt einen Monat und hat bereits 187 registrierte Unterstützer. Da nicht alle, die das Anliegen mittragen, online zu erreichen sind, gibt es die Petition mit gleichem Inhalt auch im Offline-Format. Die Petition ist einsehbar auf der Community Petition Plattform (sumofus.org) unter dem Link https://community.sumofus.org/petition/6741996b-3b8a-466e-a1f2-9f69cbb79762 Hat Stalu auch alternative Deponiestandorte geprüft? Die Kritiker fordern das Stalu auf, zu erklären, wie Vereinbarungen gemäß dem Bundesberggesetz einseitig aufgekündigt werden können. Darin ist die Wiedernutzbarmachung nach Gewinnung der Bodenschätze unstrittig geregelt. Außerdem können die Gemeinden nicht nachvollziehen, dass das Staatliche Amt auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung verzichtet. Sie erwarten, die Vorprüfung detailliert nachzuweisen. Nicht zuletzt solle die Behörde, die sich als „regionaler Partner für nachhaltige Entwicklung im ländlichen Raum“ empfiehlt, darlegen, ob alternative, umweltverträglichere Standorte für die geplante Deponie geprüft wurden. Von Haike Werfel