Wladimir Kaminer und seine humorvollen Betrachtungen

Vor 15 Jahren begann alles mit dem Überraschungserfolg „Russendisco“, heute verfügt der Sohn russisch-jüdischer Einwanderer über ein reiches Repertoire: 21 Bücher zum Lesen und Hören hat Wladimir Kaminer im Angebot. Das bietet viel Stoff für die Bühne. Mit den rund 250 Zuschauern nimmt der Autor sofort Kontakt auf. „Es ist lange her, dass ich in Wismar war, da habe ich jetzt einen schweren Start“, sagt er und grinst mit einem sorgfältig kultiviertem russischen Restakzent und erntet den ersten Lacher. Die Geschichten, die Kaminer mit auf die Bühne gebracht hat, sind noch immer aus dem alltäglichen Leben gegriffen, aber das hat sich auch bei ihm verändert: „Coole Eltern leben länger“, so der Titel eines seiner neuesten Bücher, aus dem er liest. Darin beobachtet er mit amüsiertem Blick das Erwachsenwerden seiner Kinder, die im Deutschland nach 2000 völlig anders aufgewachsen sind, als er damals im Sozialismus. Eine Sache bleibt aber gleich: Tucholsky findet auch seine Tochter im Unterricht langweilig — sie rezitiert im Deutschunterricht lieber Jim Morrisson. Die kleinen und großen Unterschiede im Deutschland von damals und heute sind für Kaminer ständiger Begleiter, zu denen er auch abseits des Textes immer wieder humorvolle Beobachtungen anstellt. Das Publikum lacht ausgelassen. Viele können sich gut in den Autor hineinversetzen. „Das ist im Osten Deutschlands speziell“, sagt Kaminer auf Nachfrage. „Wenn ich im Westen diese Geschichten erzähle, ist es für die Zuhörer ein Blick in eine fremde Welt. Für die Menschen hier ist es ein Teil ihres Lebens, den sie selbst erfahren haben.“ Per Zuruf lässt Kaminer das Publikum mitentscheiden, welche Geschichten auf die Bühne kommen. Herzliches Gelächter ernten auch Anekdoten über seine 83-jährige Mutter, die seit über 20 Jahren einmal die Woche in der Volkshochschule Englisch lernt. Sie soll Gegenstand seines nächsten Buches werden, erzählt er. Die Wismarer Zuschauer bekommen darauf eine kleine Vorschau. Unnachahmlich ist der Humor Kaminers. Immer wieder unterbricht er sich selbst, weil ihm zu einem Thema eine lustige Anekdote einfällt. Wie die über den Onkel in Odessa, der sich immer mit Freunden im „Buchclub“ traf und nie verheiratet war — bis dann nach dem Tod der Mutter endlich herauskam, dass er schwul ist. Den Unglauben der eigenen Eltern über den „seltsamen Onkel“ bringt ihn auf der Bühne selbst zum Lachen. Ein gelungener Leseabend im Wismarer Theater, der auch zeigt, dass Kaminer zu Recht seit fast genau 15 Jahren ein Star der Literaturszene ist. Bruno Lübbers

Wismar - Wladimir Kaminer und seine humorvollen Betrachtungen