Ein Drittel der Zwölfjährigen in MV klagt über Zahnprobleme

Hunderte Erstklässler in MV klagen alljährlich urplötzlich über große Zahnprobleme. Und dies trotz intensiver Zahnpflege, gesunder Ernährung und des eingeschränkten Konsums von Süßigkeiten. Betroffen sind vor allem die Front- und die hinteren Backenzähne, die das Milchgebiss der Abc-Schützen ersetzen. Es handelt sich um mitunter extrem schmerzhafte Mineralisationsstörungen – bekannt unter dem Begriff Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH). Wie können die Zahnärzte den Patienten helfen? Darüber sprach die OSTSEE-ZEITUNG mit Prof. Dr. Dietmar Oesterreich, Präsident der Zahnärztekammer MV. Signalisieren weiße und gelb-braune Verfärbungen der nachwachsenden Frontzähne sowie der ersten vier bleibenden Backenzähne die MIH-Probleme? Prof. Dietmar Oesterreich: Laut der internationalen MIH-Definition sind im bleibenden Gebiss die ersten bleibenden Backenzähne und gegebenenfalls die Schneidezähne betroffen. Sie weisen zumeist weißlich bis gelblich-bräunliche Verfärbungen auf. Hintergrund dafür ist, dass dieser hypomineralisierte Schmelzbereich weniger Kalzium und Phosphate enthält. Weltweit treten Mineralisationsstörungen bei rund 15 Prozent der Kinder auf. Wie zeigt sich die Situation in Deutschland? Laut der V. Deutschen Mundgesundheitsstudie aus dem Jahr 2016 weisen deutschlandweit 28,7 Prozent der Zwölfjährigen an mindestens einem Zahn diese Symptome auf. Klinisch relevant, das heißt gegebenenfalls behandlungsbedürftig, sind bedingt durch deutliche Schmelzeinbrüche aber nur fünf Prozent. Die Zähne des Menschen bestehen aus verschiedenen Mineralien. Diese werden von bestimmten Zellen während der Zahnentwicklung gebildet. Dieser Prozess beginnt im Mutterleib und endet, wenn der letzte bleibende Zahn durchgebrochen ist. Der Zahnschmelz, die millimeterdicke oberste Schicht menschlicher Zähne, ist das härteste Material, das der Körper produziert. Viele Betroffene werden von Schmerzen gequält, die vergleichbar mit Problemen sind, die bei freiliegenden Nerven auftreten. Wie viele Kinder betrifft dies in der zahnärztlichen Praxis? Patienten, die Schmelzeinbrüche aufweisen, klagen häufig über sehr empfindliche Zähne. Bedingt durch diese Beschwerden werden sowohl Behandlungsmaßnahmen, aber auch die Mundhygiene und die Nahrungsaufnahme eingeschränkt durchgeführt. Bei diesen fünf Prozent der Kinder besteht somit zahnärztlicher Behandlungsbedarf. Die Ursachen für das Entstehen von MIH sind noch immer nicht geklärt. Der Spezialist der Kinderzahnheilkunde an der Unimedizin Greifswald, Prof. Dr. Christian H. Splieth, vermutet, dass die schmelzbildenden Zellen im Zeitraum kurz nach der Geburt beziehungsweise im ersten Lebensjahr geschädigt werden. Schließlich leiden Babys in der Regel häufiger unter fiebrigen Infekten. Gibt es Möglichkeiten der Früherkennung? Diskutiert wird in der wissenschaftlichen Literatur, dass es während der Bildung der Zahnhartsubstanz im Umfeld der Geburt bis etwa zum dritten Lebensjahr zu Schädigungen kommt. Dabei werden Infektionskrankheiten, bei denen häufig Antibiotika eingesetzt werden, Schwangerschafts-, aber auch Geburtskomplikationen benannt. Zudem könnten Umwelteinflüsse, zum Beispiel durch die bei der Kunststoffherstellung verwendete Chemikalie Bisphenol A oder die bei allen Verbrennungsprozessen erzeugten hochgiftigen Dioxine eine Rolle spielen. Auch der Mangel an Vitamin D begünstigt möglicherweise diese Erkrankung. Derzeit sind weder eine Früherkennung noch eine Prävention der MIH möglich. Wir halten für Sie noch viele weitere Themen bereit: Lesen Sie hier mehr aus Mecklenburg-Vorpommern zu den Themen Gesundheit, Medizin und Familie Bis zum 21. März können Sie zudem an einer Umfrage zu den Themen Familie & Gesundheit teilnehmen. Wie ernähren Sie sich, wie viel Sport treiben Sie und über welche gesundheitsrelevanten Themen haben Sie sich schon Gedanken gemacht? Wer mitmacht, hat die Chance auf tolle Gewinne! Überregionale Themen-Specials des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) finden Sie hier Untersuchungen zeigen, dass das MIH-Problem in ländlichen Regionen spürbar geringer ausfällt als in städtischen Ballungsräumen. Woran liegt das? Die Unterschiede zwischen ländlichen Regionen und städtischen Ballungsräumen waren mit dafür verantwortlich, dass Umwelteinflüsse diskutiert werden. Um die Kranken überhaupt behandeln zu können, müssen die Ärzte ihnen Betäubungsmittel spritzen. Ist es notwendig, den Kindern bereits zu Hause zum Beispiel Paracetamol zu verabreichen, um eine erträgliche Behandlung zu ermöglichen? Eine lokale Betäubung und mitunter eine medikamentöse schmerzlindernde Gabe, beispielsweise von Paracetamol, sind angebracht. Wie gestaltet sich eine entsprechende Therapie? Diese ist abhängig vom Ausprägungsgrad der MIH. Bei Patienten, die lediglich Verfärbungen aufweisen, gilt es, die bekannten und wissenschaftlich anerkannten Maßnahmen der Kariesprävention intensiv durchzuführen. Dazu gehören eine gute Mundhygiene, der Einsatz von Fluoriden sowohl über die Zahnpasta als auch in der zahnärztlichen Sprechstunde als Lack, die Vermeidung einer kariesauslösenden Ernährung sowie die regelmäßige zahnärztliche Kontrolle. Was geschieht bei besagten Schmelzeinbrüchen? Liegen diese vor, so gilt es, mit dünnfließenden Kunststofffüllungsmaterialien diese Defekte zu verschließen. Gleichzeitig werden regelmäßig Fluoride eingesetzt. In schweren Fällen kann der Zahnarzt Stahlkronen aufsetzen. Wann bleibt nur das Ziehen der defekten Zähne als Alternative? Bei umfangreicheren Zerstörungen der Zahnhartsubstanz sind Keramikrestaurationen und Kronenversorgungen mit zunehmendem Lebensalter einsetzbar. Stahlkronen, die im Milchgebiss eingesetzt werden, sind jedoch nur zurückhaltend anwendbar. Sie stellen nur eine vorübergehende Lösung dar. Bei der Entscheidung über die Entfernung der betroffenen Zähne ist eine Abstimmung mit einem Fachzahnarzt für Kieferorthopädie sinnvoll. Lesen Sie auch: Rostocker Zahnärztin verpasst kranken Kinderzähnen Stahlkappen Kliniken in MV: Wie eine kindgerechte Umgebung die Genesung fördert Notaufnahme der Kinderklinik Rostock: Wenn alles ganz schnell gehen muss Von Volker Penne