OZ-Leser: „In Zeiten einer Pandemie scheint dieser vormalige Vorteil sich ins Gegenteil zu verkehren“

Bei über 30 000 am Coronavirus Infizierten sind in Deutschland bisher 170 Todesfälle zu beklagen. Der Erreger grassiert auch hierzulande, natürlich, doch scheinbar weniger schwer als anderswo. Was sind die Gründe für diese niedrigere Mortalität? OZ-Leser diskutieren diese Frage, erörtern mögliche Gründe und nähern sich im Verlauf auch der Frage an, warum es in den neuen Bundesländern offenbar weniger an dem Virus Erkrankte gibt. Experten indes verweisen mit Blick auf die geringere Sterblichkeit, etwa im Vergleich zu Italien, auf drei ursächliche Begebenheiten. Zum einen, Stichwort Epidemie-Zeitpunkt, habe es in Italien schon länger viele Fälle unerkannter Infektionen gegeben. Außerdem ist die Epidemie dort schon weiter fortgeschritten. Stichwort Qualität des Gesundheitswesens: Zu der hohen Sterblichkeit in Italien könnte beitragen, dass manche Krankenhäuser bereits überlastet sind und nicht mehr alle Patienten optimal behandelt werden können. Italien mit rund 60 Millionen Einwohnern hatte vor der Krise nach Behördenangaben 5000 Intensivbetten. Weitere wurden inzwischen geschaffen. In Deutschland mit rund 80 Millionen Einwohnern gibt es etwa 28 000, und die Zahl soll nun verdoppelt werden. Und weiter spielt das Testverhalten eine entscheidende Rolle für die Beurteilung der Statistiken. In manchen Ländern werde bei Verstorbenen nachträglich ein Test gemacht, in anderen nicht, wissen Experten. Es heißt, in Deutschland werde sehr rigoros getestet im Vergleich zu anderen Ländern. Die Gesundheitssysteme spielen eine entscheidende Rolle: Auch Ulrike Hennwald weiß: „In Spanien wurden 2008 sehr viele Krankenhäuser geschlossen oder privatisiert. Die privaten Krankenhäuser behandeln bei Epidemien und Pandemien nicht. Deshalb müssen die Patienten in die staatlichen, die jetzt völlig überlastet sind. Das soll sich jetzt aber ändern.“ Berndt Dittrich glaubt, dass die verschiedenen Gesundheitssysteme von Italien und Deutschland sowie die entsprechende Krankenhaushygiene entscheidend seien. „Und wenn wir nach Holland schauen mit den wenigsten Fällen, sehen wir ein gutes Gesundheitssystem und eine sehr gute Krankenhaushygiene.“ Yvonne Gaubitz erwidert: „In der Lombardei hat man ein sehr gutes Gesundheitssystem. Dieses Gebiet zählt zu den reichsten des Landes.“ Und trotzdem könnten die Zuständigen die Anzahl der Schwerstbetroffenen nicht auffangen, erklärt die Leserin, die meint, einen anderen Grund für die unterschiedliche Sterblichkeitsrate ausmachen zu können. „In Deutschland existieren kaum noch Mehrgenerationenhaushalte. Rentner leben eher alleine. Da ist die Infektion der größten Risikogruppe eher begrenzt.“ So beschreibt es auch Jürgen Altmann: „Besonders in Italien und Spanien lebt die arbeitende Bevölkerung meist mit den Eltern und Großeltern in einem gemeinsamen Haushalt. Das hat in normalen Zeiten den Vorteil, dass die Großeltern auf die Kinder aufpassen, wenn deren Eltern arbeiten. Abends sitzt die Großfamilie beim gemeinsamen Abendessen zusammen. In Zeiten einer Pandemie scheint dieser Vorteil aus normalen Zeiten sich ins Gegenteil zu verkehren.“ Warum ist die Lage in den neuen Ländern eine andere? Ramona Spillmann wirft die Frage auf: „Kommt es eigentlich niemandem seltsam vor, dass es in den neuen Bundesländern kaum Infizierte gibt?“ Lara Binder meint: „Das liegt vielleicht daran, dass die Bevölkerungsverteilung eine andere ist. Wenn man MV mit Baden-Württemberg vergleicht, dann sieht man, dass die Menschen im Südwesten deutlich dichter aneinander wohnen als in MV. Auch gab es in den alten Bundesländern zum Zeitpunkt der Ausbrüche durch Karneval etwa deutlich mehr Veranstaltungen als in den neuen Bundesländern.“ Christian A. Kowalski ergänzt: „Und die ohnehin dichter bevölkerten Länder wie Nordrhein-Westfalen waren außerdem auch früher und zuerst betroffen. Die späteren Schutzmaßnahmen, wie Kontaktsperren, wurden dann aber in ganz Deutschland zeitgleich eingeführt, so dass diese für die östlichen Länder noch etwas rechtzeitiger kamen.“ Und Thomas Kringel setzt noch hinzu: „Die internationalen Drehkreuze liegen im Westen der Bundesrepublik. Aus meiner Sicht völlig normal, dass dort die Anzahl an Erkrankten zuerst steigt.“ Von Juliane Lange