Allah im Herzen

Die Uhr an seinem Handgelenk ist wichtig. Wenn Salim Baselim mit Kommilitonen in der Greifswalder Unibibliothek sitzt und für die nächste Medizin-Prüfung büffelt, muss er nebenbei immer die Uhr im Blick behalten. Denn fünf Mal am Tag ist für ihn Zeit zu beten. „Eine Kommilitonin von mir kennt das aber schon und sagt oft rechtzeitig: So, wir machen jetzt eine Pause“, erzählt der 27-Jährige lächelnd. Während die anderen dann Kaffee trinken gehen, wäscht Salim Baselim seine Hände, das Gesicht, die Füße — alles nach gelernten Bewegungen — und sucht sich eine ruhige Ecke drinnen oder draußen. Dann breitet er seine Jacke aus, stellt die Füße darauf und betet zu Allah, mit Versen aus dem Koran. Kniet nieder, beugt sich vornüber, steht wieder auf. Ein paar Minuten nur. „Danach fühle ich mich irgendwie gereinigt und nah bei Gott“, sagt er. „Es wird ruhig im Herzen.“ Seit sieben Jahren studiert Salim Baselim Medizin in Greifswald, tausende Kilometer von seiner Heimatstadt Jakarta in Indonesien entfernt. Zu Hause sind 90 Prozent der Bevölkerung Muslime, in Greifswald ist er ein Exot. Immerhin, mehrere hundert Muslime verschiedener Nationen leben hier. „Die meisten sind Studenten oder Ärzte.“ Rund 150 bis 200, sagt Baselim, kommen jede Woche zum Freitagsgebet in Vorpommerns einzige Moschee mitten in Schönwalde. In der „Kiste“, einem flachen Hörsaalblock in der Makarenkostraße, hat die Uni schon vor über zehn Jahren zwei Räume für den Verein Islamisches Kulturzentrum abgeteilt, dessen stellvertretender Vorsitzender Baselim inzwischen ist. Beim „Tag der Offenen Moschee“ am 3. Oktober können Besucher einen Blick hinein werfen: Auf dem Boden liegt ein weinroter Teppich, orientalische Verzierungen ziehen die Reihen für das Gebet. Direkt am Eingang steht ein Schuhregal — denn in Allahs Haus läuft man auf Strümpfen oder barfuß, aus Ehrfurcht und hygienischen Gründen. Dass die Uni den Muslimen kostenlos Raum gibt, findet Salim Baselim bemerkenswert. „Sowas gibt es sonst an keiner Uni, und dafür sind wir sehr dankbar“, sagt er. Muslim zu sein, bedeutet für ihn: nach den Regeln zu leben, die im rund 1300 Jahre alten Koran stehen, mit anderen Muslimen zu beten, im Ramadan gemeinsam das Fasten zu brechen. Das alles geht hier, und doch: „Es ist nicht immer einfach, in Greifswald als Muslim zu leben.“ Unter anderem die geographische Lage ist schuld. Der Fastenmonat Ramadan fiel in diesem Jahr auf Anfang Juli bis Anfang August. „Das war hart, weil die Tage hier so lang sind“, sagt Baselim. Von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang dürfen Muslime im Ramadan weder essen noch trinken. „Wir mussten also 18 Stunden durchhalten.“ Wer keine Muslime kenne, verbinde mit dem Islam außerdem oft etwas Negatives, sagt Baselim. Bekannte von ihm seien schon auf der Straße beschimpft worden. Einmal steckte Schweinefleisch im Briefkasten der Moschee (die OZ berichtete). „Viele denken bei Islam an Terroristen“, sagt Baselim. Doch der Koran fordere zu einem friedlichen Leben auf. „Wer im Namen Allahs Menschen ermordet, ist kein Muslim“, meint er. Verzicht allerdings gehört für ihn zum Islam. Als Muslim hat Salim Baselim noch nie im Leben einen Tropfen Alkohol getrunken, wie er lächelnd sagt. Sex außerhalb der Ehe ist verboten. Fleisch darf er nur essen, wenn es „halal“ ist, das Tier nach dem Schlachten ausblutete. „Es gibt in Greifswald aber nur zwei Restaurants, die das haben.“ Doch für Salim Baselim bedeutet das alles nicht, dass der Glaube ihn einenge. Nie habe er gezweifelt daran, dass Allah existiere, dass Mohammed sein Gesandter war und dass der Koran Allahs Willen widerspiegele. Nie habe er sich gewünscht, die fünf Gebete einfach ausfallen zu lassen. „Warum sollte ich? Der Islam ist keine Belastung.“ Etwas anderes scheint den jungen Mann eher einzuengen: Greifswald. Sobald er das erste Examen bestanden hat, will Salim Baselim wegziehen, in eine Stadt wie Berlin, die Muslimen mehr bietet: Halal an jeder Ecke etwa, und überhaupt mehr zu sehen. „Ich komme ja aus einer Großstadt“, sagt er. „Greifswald ist mir zu klein.“ Die Interkulturelle Woche in Greifswald Eröffnung morgen um 17.30 Uhr im Jugendfreizeitzentrum Takt mit Volleyball, Tanz, Live-Musik und Büffet 23. bis 27. September, jeweils 10 Uhr, Stadtbibliothek: Märchen-Lesung 24. September bis 10. Oktober, 10 bis 18 Uhr, Dom: Ausstellung zur Arbeitssituation von Migranten 26. Septembe r, 16 Uhr, Makarenkostraße 12: Indischer Nachmittag 27. September, 20.30 Uhr, Kino auf dem Markt mit Filmen zu Migration 28. September, 20 Uhr, Koeppenhaus: Horváth-Lesung zu Asyl 1. Oktober, 19 Uhr, E-Werk: Konzert; Songs von und mit Flüchtlingen 3. Oktober, 10 bis 18 Uhr, Makarenkostraße 49b: Offene Moschee • Mehr Termine auf www.interkulturellewoche.de Sybille Marx

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