Bauerntöchter in Lubmin

Denkt Christa Bohl an Lubmin, ist sie berührt. Die Frau lebt in Düsseldorf. Von Lubmin hat sie jahrelang nur gehört. Sie ist weder in dem Seebad aufgewachsen, noch hatte sie irgendwann ihren Wohnsitz dort. Dennoch: „Lubmin“, sagt die 62-Jährige, „ist der einzige Ort, mit dem ich Heimatgefühle verbinde.“ Ihr Vater hätte dort Gutsbesitzer sein sollen. Wie zuvor sein Vater und dessen Vater. 400 Jahre lang hatten Bohls Grund und Boden in Lubmin beackert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie enteignet. „Im Januar 1946“, schildert Christa Bohl, „musste meine Großmutter den Hof binnen 24 Stunden verlassen. Mein Vater, zu dem Zeitpunkt in Kriegsgefangenschaft, suchte später Zuflucht auf einem Bauernhof in der Eifel, der der Familie meiner Mutter gehörte. Der kleine Hof von fünf Hektar mit steilen Wiesen und karger Erde gab gerade genug für den Eigenbedarf her. ...Kein Vergleich zu dem 170-Hektar-Guts in Lubmin mit 30 Milchkühen, 40 Jungtieren, 70 Schweinen, 30 Pferden und zwölf Arbeitern.“ Jahrzehnte später kehrte Bohls Vater nach Lubmin zurück. Als Ruheständler verbrachte er die letzten 15 Jahre seines Lebens dort. „In dieser Zeit habe ich ihn öfter besucht“, erzählt die Rheinländerin. Im vergangenen Jahr hat sie einen Teil der strandnahen Ackerfläche erworben, die einst ihrer Familie gehörte. „Ich kann mir vorstellen, irgendwann hierher zu ziehen“, bekennt sie. An diesem Wochenende weilt Christa Bohl wiedermal in Lubmin. Und mit ihr 28 Frauen, mit denen sie eines verbindet: Kindheit und Jugend auf einem Bauernhof. Jede von ihnen hat Erlebnisse und Beobachtungen aus jenen Jahren aufgeschrieben. Nicht wenige geben Empfindungen preis, über die sie in der eigenen Familie nie gesprochen haben. Erschienen sind all diese Schilderungen über einen Zeitraum von elf Jahren in drei Büchern. Im Lubminer Seebadzentrum werden acht der Frauen morgen Vormittag ihre Geschichte lesen. Ulrike Siegel hat sie veröffentlicht. Die Bäuerin aus Württemberg wollte irgendwie festhalten, „was Leben in der Landwirtschaft bedeutet“. „Ich bin in den 1960er Jahren aufgewachsen und habe damals gesehen, dass Schulkameraden, deren Eltern keine Bauern waren, ganz anders groß wurden.“ Die von Siegel gesammelten Bauerntöchter-Geschichten verkauften sich 150 Tausend mal. Und stießen damit auf ein weit größeres Interesse als Beiträge prominenter Bauernsöhne, darunter der Designer Joop, die Siegel in einem weiteren Band publizierte. Birgit Rieger, Landwirtin in einem Dorf bei Schwäbisch-Hall, hat sich nicht vorstellen können, dass ihre und anderer Bauerntöchter-Geschichten so einen Erfolg haben. Einmal im Jahr treffen sich die Autorinnen. Stets ist eine andere von ihnen Gastgeberin und Organisatorin. Diesmal lag die Vorbereitung in den Händen von Christa Bohl. Für sie war es naheliegend, die Bauerntöchter in den Ort zu holen, der ihr so viel bedeutet. „Lubmin. Ich bin mit den Erinnerungen meines Vaters an diesen Ort aufgewachsen. Für ihn konnte nichts im Westen so gut sein wie das, was er hier in Lubmin vor dem Krieg hatte.“ Lesung der Bauerntöchter, morgen, 11 Uhr, im Seebadzentrum von Lubmin Festhalten, was Leben in der Landwirtschaft bedeutet.“Ulrike Siegel, Herausgeberin Bauerntöchter-Bücher Sven Jeske

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