Der weise Nathan und die alten Konflikte

Es gibt Rollen, von denen wohl jeder junge Theatermime träumt. „Nathan der Weise“ etwa — ein Klassiker für Bühnen. Seit das berühmteste Werk von Gotthold Ephraim Lessing 1783 in Berlin uraufgeführt wurde, gehört es in schöner Regelmäßigkeit zum Spielplan vieler Häuser. Generationen von Schülern haben die Ringparabel pflichtgemäß verinnerlicht. Ein altbackenes Stück also zum Gähnen oder gar: Fernbleiben? „Das Thema ist aktueller denn je“, sagt Franz Burkhard, Dramaturg am Theater Vorpommern. Auf dessen großer Bühne in Greifswald feiert das Stück in der Inszenierung von André Rößler am Sonnabend Premiere. Anlass war vor zwei Jahren, als das Programm für 2014/15 entstand, lediglich das Spielzeitmotto „bürgerlich“. Lessings Nathan passe da ideal hinein, sagt Burkhard. Was keiner der Ideenfinder damals ahnte: Das historische Stück ist erschreckend gegenwartsnah. „Man braucht nur die Zeitungen aufzuschlagen. Die Nachrichten lassen erledigt gemeinte Fragen wieder aufleben, alte Konflikte spitzen sich zu“, erklärt der Dramaturg und nennt die Gräueltaten von IS und Taliban als Beispiele. Klerikale Gruppen würden weltweit zu Ansichten und Bibeldeutungen lange vor der Aufklärung zurückkehren. Die überwunden geglaubte Einheit von Glaube und Staat werde gesucht und gewaltsam wiederhergestellt. Patriarchale Vorstellungen schränkten die Freiheit der Frauen ein. Da ist es Zeit für einen Nathan, der Toleranz und Humanismus predigt. Angesichts dieser Herausforderung betrachtete Jan Bernhardt die neue Hauptrolle anfangs keinesfalls mit Euphorie. Im Gegenteil. Der gestandene, in der Vergangenheit mit viel Beifall bedachte Schauspieler hatte Angst: „Wie spielt man einen so weisen Mann“, fragte er sich. Doch die Arbeit am Stück ließ ihn schnell sein Selbstbewusstsein wiedererlangen. „Mit gesundem Menschenverstand, mit viel Herz und einer Portion Toleranz ist das alles möglich“, sagt er. Mittlerweile sei die Vorfreude groß, am Sonnabend auf der Bühne zu stehen. Und es werde so ganz anders als damals, 1990, als er in Stralsund den Tempelherrn spielte. „Den Zugriff zum Thema finde ich sehr spannend“, erklärt Bernhardt. Die Geschichte an sich werde nicht verändert, versichert Regisseur André Rößler. Als der Jude Nathan von einer Geschäftsreise zurückkehrt, erfährt er, dass seine Pflegetochter Recha dank eines christlichen Tempelherrn vor dem Feuertod bewahrt wurde. Recha und ihr Retter verlieben sich. Indes gehen Sultan Saladin, dem muslimischen Herrscher der Stadt, die Gelder aus, die er für eine Fortsetzung des Krieges mit den Katholiken benötigt. Er lässt Nathan zu sich rufen. Bevor er ihn um ein Darlehen bittet, stellt er ihm die Frage nach der wahren Religion. Nathan hilft sich mit einem schlauen Einfall und erzählt Saladin ein Märchen. Seine Ringparabel verkündet das allen Religionen Gemeinsame: Sie müssen sich durch praktische Humanität ausweisen. Verwirrung werden möglicherweise die uniformen Kostüme der fünf Schauspieler stiften. „Wir wollten es den Zuschauern nicht gar so leicht machen“, sagt Rößler mit einem Augenzwinkern. Eine kleine Besetzung für ein großes Thema. Das Publikum darf gespannt sein. Nathan der Weise Das dramatische Gedicht von Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) feiert am 21. März, 19.30 Uhr, in Greifswald Premiere. Die Stralsunder Premiere steht am 4. April auf dem Spielplan. In Greifswald wurde das Stück zuletzt 1994 aufgeführt, in Stralsund 1990. Karten: ☎ 03834/ 57 22 224 Petra Hase

Greifswald - Der weise Nathan und die alten Konflikte