Die Meinhof ist „Die Frau meines Vaters“

Der Kreis der Literaturinteressenten, der sich in der Geschäftsstelle der Partei Die Linke eingefunden hatte, war von „Die Frau meines Vaters“ sehr beeindruckt. Die Autorin erzählt in der dritten Person. Nur eine Person wird namentlich genannt: Ulrike Meinhof. Es ist Anja Röhls Stiefmutter, die ihr Vater 1961 in zweiter Ehe geheiratet hat. Zu ihr entwickelte das Kind ein herzliches Verhältnis. Es war der erste Mensch, von dem es sich ernstgenommen und verstanden fühlte, was die leibliche Mutter und der Vater vermissen ließen. Dass dieser Fakt wichtig ist für einen jungen Menschen, ist wohl unbestreitbar. Es ist Anja Röhls eigene Kindheit, von der sie erzählt. Sie schreibt aus der Perspektive des Kindes. Sie beurteilt nicht, noch verurteilt sie die Handlungen Ulrike Meinhofs. Die am 7. Oktober 1934 in Oldenburg als Tochter zweier Kunsthistoriker geborene Ulrike Meinhof ist keine Achtundsechzigerin im eigentlichen Sinne. 1968 ist sie bereits vierunddreißig. Sie findet Anschluss an die Bewegung gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr. Durch Artikel in der Zeitschrift „konkret“ wird sie zu einer bekannten Kolumnistin. Terrorismus und Rote-ArmeeFraktion, aufs engste mit dem Namen Ulrike Meinhof verbunden, treten bei Anja Röhl in den Hintergrund. Sie wolle keinen Anspruch auf historische Korrektheit erheben. Sie habe nur einen kleinen Beitrag leisten wollen, etwas Gerechtigkeit herzustellen gegenüber einer Persönlichkeit, die bis heute wie ein Monster behandelt werde. „Ulrike kann in mir nicht zur Ruhe kommen, ehe die Welt nicht dieses von ihr weiß, was sie mir gab“, resümiert die Buch-Debütantin. Auf die Frage, warum sie sich so lange nach Meinhofs Tod noch für sie interessiert, zitiert sie die Schriftstellerin Ilse Aichinger: „Wer die Toten vergisst, bringt sie ein zweites Mal um.“ Anja Röhl: „Die Frau meines Vaters: Erinnerungen an Ulrike“, Edition Nautilus; ISBN: 978-3-894-01771-2. Jenny Rautenberg

Stralsund - Die Meinhof ist „Die Frau meines Vaters“