Ein tänzerisches Experiment, bei dem der Zufall bestimmt

Was passiert eigentlich, wenn wir unsere Bewegungen dem Zufall überlassen? Oder wenn wir unsere Erinnerungen in den Gesten und Regungen unserer Hände, Arme und Beine sprechen lassen? Der Japaner Shumpei Nemoto und der Amerikaner Bryan Arias ließen sich von diesen Gedanken anregen und kreierten zwei komplett unterschiedliche Tänze daraus: Inspiriert von John Cages aleatorischer Kompositionstechnik erforscht Nemoto Zufallsprinzipien in der Choreografie, während Arias sich den von Erinnerungen und Gefühlen tangierten physischen Bewegungen widmet. Ab Donnerstag werden beide Tänze im Rahmen der Reihe „Tanzzeit“ am Theater Vorpommern aufgeführt, die jedes Jahr klassisch ausgebildete Tänzer herausfordert, sich auf Improvisationen einzulassen. „Die grundlegende Idee ist die, dass jedes Ding es selber ist“, heißt es bei dem amerikanischen Künstler und Komponisten John Cages, der Syntax und Töne seiner Kompositionen per Zufall ausloste. Nemoto nahm sich Cages zum Vorbild, um neue künstlerische Wege zu beschreiten. Ließ er anfangs noch Würfel über die tänzerischen Bewegungen entscheiden, entwickelte er zunehmend Systeme, die aus der Kombination verschiedenster Körperteile, Aktionen, Richtungen und Geschwindigkeiten die Bewegungen der Tänzer bestimmten. Sein Stück „Untitled #1“ wird ohne Musik aufgeführt, denn es gehe nicht darum, eine Geschichte zu erzählen. „Ich habe auch keine Idee vom Resultat“, verrät Nemoto. Vielmehr ist der Zuschauer Beobachter eines tänzerischen Experiments. „Es bilden sich unterschiedliche Ideen im Raum, die die Wahrnehmung des Zuschauers für Dinge schärfen“, erklärt Ballettdramaturgin Marie Henrion. Diese würde er sonst übersehen. In „Pass the Present“ erforscht Arias, wie sich unsere bewussten aber auch unbewussten Erinnerungen in unser Tun und Denken vermischen. Mit einer Reihe kurzer, ineinander geflochtener Begegnungen entwirft er eine poetisch-humorvolle Collage getanzter Erinnerungsbilder. Sie sind die Spiegel individueller und gemeinsamer Erlebnisse. „Es werden Fragen gestellt, aber Antworten gibt es keine“, sagt Arias. Anders als bei Nemoto lebt die Choreografie von Emotionen und Beziehungen der Tänzer untereinander. Die Musik spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Nemoto und Arias genossen Ausbildungen in Japan und Großbritannien sowie in den USA und tanzten im Anschluss für internationale Balletts und Compagnien. Nemoto ist seit 2010 als Choreograf in Japan und Europa tätig. Arias choreografierte unter anderem für die New Yorker Juilliard School und für das Nederlands Dans Theater. Der Zuschauer müsse allerdings keine Angst haben, den Sinn der abstrakten Darstellung nicht zu erfassen. „Es geht nicht ums Verstehen. Man muss bereit sein, sich fallen zu lassen“, erklärt Henrion. Jeweils sechs und sieben Darsteller werden in Nemotos und Arias` Darbietung zu sehen sein. Die sonst vor allem in klassischen Stücken engagierten Tänzer haben in einem langwierigen Prozess für die Choreografien geprobt. „In den ersten drei Tagen klagten sie nicht selten über Muskelkater aufgrund der ungewohnten Bewegungen“, sagt Henrion. Aufführungen Die Premieren finden am 2. April um 19.30 Uhr am Theater Vorpommern in Greifswald statt. Weitere Termine am: 9. April um 19.30 Uhr 10. April um 19.30 Uhr 18. April um 19.30 Uhr 3. Mai um 18.00 Uhr Annemarie Bierstedt

Greifswald - Ein tänzerisches Experiment, bei dem der Zufall bestimmt