Flüchtlinge brachten Bismarcks Trausiegel

Grimmen — Ein Engel mit einer Gesetzestafel in der Hand, eine Taube als Symbol des Heiligen Geistes, die Jahreszahl 1789 und der Schriftzug „Kirche Alt Kolziglow“ — dies ist auf einem ganz besonderen Siegel, das sich im Grimmener Kirchenarchiv befindet, zu erkennen. Was hier auf einem Durchmesser von gerade mal zwei Zentimetern zu sehen ist, erinnert an eine spannende Episode der Grimmener Geschichte. „Für den Laien scheint so ein Siegel auf den ersten Blick sicher ziemlich unspektakulär, aber solche historischen Überlieferungen erzählen unsere regionale Geschichte unglaublich detailliert“, findet der geschichtsinteressierte Trebelstädter Sven Thurow und erklärt: „Dieses Siegel befindet sich auch auf der Trauurkunde von Otto von Bismarck, seinerzeit erster Reichskanzler des Deutschen Reiches.“ Im Juli des Jahres 1847 ließen sich beispielsweise Otto von Bismarck und Johanna von Puttkamer in jener Kirche von Alt Kolziglow im Kreis Rummelsburg (Hinterpommern) trauen. Wie gelangte jenes Siegel, welches von 1789 bis zum Zweiten Weltkrieg in der Kirche verwendet wurde, nun aber nach Grimmen? „Aus dem Kirchenarchiv geht hervor, dass in Grimmen damals der Superintendent Ernst Seils tätig war. Dieser wiederum war von 1927 bis 1933 in der Kirche von Alt Kolziglow tätig. Flüchtlinge, die nach 1945 aus Hinterpommern nach Grimmen kamen, übergaben das Siegel als Geschenk an Ernst Seils, als Andenken an seine Heimat. „So landete es in der Siegelsammlung des Kirchenarchivs“, erklärt Sven Thurow. Diese und weitere bereits in Vergessenheit geratene historische Begebenheiten sind bald in einer Publikation über die Marienkirche in Grimmen und ihre Gemeinde nachzulesen. Im Rahmen der Wanderausstellung „Leben nach Luther — Eine Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses“ , die vom 6. September bis 4. Oktober in der Marienkirche zu sehen sein wird, erscheint die Publikation, an der zahlreiche Doktoren und Professoren mitgearbeitet haben. „Das Archiv ist in keinem besonders guten Zustand“, betont Sven Thurow und erklärt: „Seitdem 1995 die Superintendentur in Grimmen aufgelöst wurde, fühlte sich keiner mehr für das Archiv zuständig, so dass es in zum Teil feuchten Räumen der Kirche gelagert wurde und dort mehr oder weniger verfaulte.“ Mitte der 1990er-Jahre umfasste das Archiv zirka 60 laufende Meter Akten. Heute ist davon maximal noch ein Zehntel übrig. „Nach der Auflösung der Superintendentur wurden Bestände nach Demmin ausgelagert, die später in Greifswald landeten und sich inzwischen in einer Halle in Mesekenhagen befinden“, erklärt Hobby-Historiker Thurow und wünscht sich, dass man sorgfältiger mit dem noch bestehenden Archiv umgeht. „Die zum Teil losen Zettel geben einen unersetzlichen Einblick in die vergangenen Jahrhunderte der Stadtgeschichte“, betont er. Für die Entstehung der Publikation über die Marienkirche wurde nun seit über einem Jahr das Kirchenarchiv intensiv genutzt. Hierbei benutzten die Autoren des Werkes die Liste der letzten Bestandsaufnahme aus dem Jahre 1968. „Es zeigte sich, dass sich Sachen, die man damals noch auf der Inventarliste fand, jetzt nicht mehr im Kirchenarchiv befinden“, weiß Sven Thurow. Welche spannenden Episoden wiederentdeckt wurden, möchte Sven Thurow am 13. September, also am Tag des offenen Denkmals, interessierten Grimmenern vorstellen. Anspruchsvolle Publikation über die Marienkirche Über zehn Doktoren, beispielsweise Geschichtsdozenten der Greifswalder Universität, haben ehrenamtlich die Beiträge in der Publikation über die Marienkirche in Grimmen und ihre Gemeinde verfasst. Im Rahmen der Wanderausstellung des Deutschen Historischen Museums werden die Autoren zudem Vorträge halten. Die Ausstellung wird vom 6. September bis 4. Oktober in der Marienkirche zu sehen sein. Dann soll es auch die Publikation geben. (Preis: 34,90 Euro) Raik Mielke

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